LESEPROBE aus der Autobiografie von Jürgen Elsässer

— Foto: Montage/Redaktion

Freundschaft mit Oliver Janich

„Der Widerspruch zwischen uns war rein theoretisch.“

Von Jürgen Elsässer. — Berlin, 27. Juni 2022

Redaktionelle Vorbemerkung: Die Autobiografie von Jürgen Elsässer liest sich phantastisch. Wo man auch aufblättert – gleich wird der Leser gepackt von aktueller und aktuellster Zeitgeschichte. Sofort liest man sich fest. Ein Kapitel interessanter als das andere. Der erfahrene Journalist verfügt über eine tolle Schreibe, die das Verschlingen vorantreibt und doch Stellen zum Genuß bereithält, über die sich der miterlebende und ein bißchen mitkämpfende Zeitgenosse erfreut: Namen, die man kennt – Situationen, an die man sich erinnert – Momente, die wieder aufscheinen. Bemerkenswert seine analytische Weitsicht mit dem JW-Leitartikel „Rettet die deutsche Kohle!“, in dem Jürgen Elsässer bereits 2008 den „Neuaufbau einer nationalen Energiebasis“ gefordert hatte (Seiten 301/302). Das gegenwärtige, notgedrungene und hektische Regierungshandeln bestätigt seinen damaligen Aufruf. Für Nutzer unserer Webseite ist sicherlich besonders der Abschnitt „Freundschaft mit Oliver Janich“ (Seiten 341 bis 345) interessant, den wir hier als Leseprobe aus „Ich bin Deutscher. Wie ein Linker zum Patrioten wurde“ mit freundlicher Zustimmung des Autors veröffentlichen dürfen.

 

Ebenfalls im Juni 2011 fand die Bilderberger Konferenz in St. Moritz statt. Der vom Holländischen Königshaus und Rockefeller Anfang der 1950er Jahre gegründete Eliteclub hatte früher streng geheim getagt, der Ort wurde erst hinterher bekanntgegeben, selbst Systempresse war nicht zugelassen – das war der Unterschied zu den viel größeren Konferenzen des Weltwirtschaftsforums (WEF) von Klaus Schwab, die jeweils im Januar in Davos stattfanden. Während hier allgemeine Strategien des Globalismus diskutiert wurden, ging es bei den Bilderbergern eher um das Casting von Politikern, die die Eliten in die Weltspitze hieven wollten. So war Angela Merkel im Mai 2005 Gast in dem honorigen Club – rechtzeitig vor dem Wahlkampf, der sie ins Kanzleramt brachte. Die wichtigsten Teilnehmer waren in beiden Veranstaltungen dieselben – nur waren beim WEF noch 2.000 Leute als Fußvolk und Staffage dabei. Die Bilderberger dagegen liebten die Diskretion, die Teilnehmerzahl lag immer im zweistelligen Bereich.

Doch dieses Mal erfreute sich das Treffen einer gewissen Gegenöffentlichkeit: Die Schweizer Webseite Alles Schall und Rauch (ASR) hatte den Ort herausbekommen und lud zu Aktionen ein. Ich hatte 2009, kurz nach meinem Rauswurf beim Neuen Deutschland, schon auf einer ASR-Konferenz gesprochen und viele Kontakte zu Bloggern geknüpft, die damals die Anfänge der sogenannten verschwörungstheoretischen Szene bildeten. Einer der prominentesten war Oliver Janich, der zuvor für Focus Money gearbeitet hatte und unter anderem wegen einer Artikelserie herausgeflogen war, in der er die offizielle Theorie zu 9/11 anzweifelte.

In St. Moritz trafen wir uns – nach der Premierenfeier unserer Nullnummer – zum zweiten Mal persönlich, und wieder stimmte die Chemie. Der Enddreißiger mit dem sauber rasierten Glatzkopf hatte ein Fangirl von Anfang 20 dabei, die ziemlich überdreht war. Entweder war sie von ihrem Oli mordsmäßig begeistert, oder sie hatte vorher gekokst. Der Meister selbst war stocknüchtern, und als wir uns am Abend vor über 200 Besuchern eine Podiumsdiskussion über die Globalisierung im Allgemeinen und die Bilderberger im Besonderen lieferten – beide in Jeans, weißem Hemd und offenem Kragen, wie zwei Sportler – war das ein Feuerwerk an Pointen und Argumenten. Janich verfügt über eine Fähigkeit, die im oppositionellen Spektrum selten ist: Er kann Hauptsächliches von Nebensächlichem unterscheiden. So nahm er es sportlich, dass ich mit seiner libertären, radikal staatsfeindlichen Ideologie nichts anzufangen wusste – denn in der Bekämpfung der gegenwärtigen Staatsmacht in BRD und EU waren wir uns ja einig, das genügte.

Ich erinnere mich an eine spätere Diskussion, die wir bei Cappuccino und Zigarette in einem Straßencafé in der Nähe des Stachus führten.

Er: »Der Staat ist das Böse. Er stranguliert uns mit seinen Steuern und steuert das Wirtschaftsleben nach politischen Vorgaben wie im Sozialismus. Ohne den Staat könnten sich die besten Güter aus Privatproduktion auf unregulierten Märkten durchsetzen.«

Ich: »Deine Vorstellung von einem Anarchokapitalismus ist ein hübsches Schlaraffia. Solche Utopien kenne ich noch aus meiner kommunistischen Jugend. Sobald solche Vorstellungen vom Reißbrett in die Praxis umgesetzt werden, scheitern sie.«

Er: »Was im Augenblick scheitert, ist das ungedeckte Zentralbankgeld. Warum nicht verschiedene Währungen zulassen, und die Kunden können dann selbst entscheiden, welcher sie vertrauen und welche sie benutzen?«

Ich: »Du musst die Übergangsphase beachten. Das jetzige System stirbt ja nicht einfach ab, wenn der Staat sich zurückzieht. Die wirtschaftlich Mächtigen behalten doch ihre Druckpositionen. Sie werden den unregulierten Markt nutzen, um ihre Verkaufsposition mit außerökonomischen Mitteln bis hin zu Mord und Totschlag durchzusetzen – die Konkurrenz wird einfach umgebracht, und der stärkste Geld-Emittent zwingt die kleinen Leute mit vorgehaltener Pistole, seine Währung zu verwenden. So agierten die Eisenbahnbarone im staatsfreien Wilden Westen und die Oligarchen in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetmacht.«

Er: »Also willst du die Sowjetunion wieder?«

Ich: »Darum geht es mir gerade nicht, denn dort gab es ja keinen freien Markt, die Privatinitiative wurde erdrosselt. Aber wenn wir einen freien Markt wollen, muss der vor Raubrittern geschützt werden, die sich ihre Marktanteile mit Gewalt nehmen, und das geht nur über die konzentrierte Macht von freien Produzenten und freien Konsumenten. Diese konzentrierte Macht, man kann sie auch Staat nennen, muss den Oligarchen Paroli bieten. Putin hat das ganz gut gemacht.«

Er: »Meinetwegen. Aber was du als Übergangsmacht siehst, hat leider in der Geschichte immer wieder die Tendenz zur Verstetigung gehabt und wurde dann selbst von den Oligarchen unterwandert – mit freundlicher Unterstützung der Linken. Gegen diesen Korporatismus, der den Kapitalismus beseitigt hat, stehe ich als Libertärer.«

Der Widerspruch zwischen uns war rein theoretisch. Im Hier und Jetzt stimmten wir darin überein, dass der aufgeblähte Sozialstaat den wirklich Bedürftigen nichts bringe, vielmehr die Fleißigen ausbeute, die Superreichen verschone und nur den Faulen und Asylanten nütze. Außerdem hatte der Staatsfeind Janich, im Unterschied zu den lupenreinen Anarchokapitalisten in der Hayek-Gesellschaft, nichts dagegen, vom Staat immerhin den Schutz der eigenen Grenzen gegen die Einwanderungsflut zu fordern. Darin taten es ihm nur wenige andere Libertäre gleich, etwa Max Otte, Markus Krall und Ralf Flierl.

DER AUTOR

Jürgen Elsässer (Jahrgang 1957) ist Journalist, Redakteur und Mitherausgeber verschiedener Printmedien, er ist Publizist, Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, z. B. der Biografie von De Gaulle: Patriotismus und Ausgleich mit dem Osten (2011) und tritt als politisch sehr aktiver Mensch auch auf Demonstrationen und Kundgebungen auf. 2009 gründete er die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“. Jürgen Elsässer ist Chefredakteur des Monatsmagazins Compact. „Der deutsche Stephen Bannon.“ („Der Spiegel“ über Elsässer)

DAS BUCH

Jürgen Elsässer: Ich bin Deutscher. Wie ein Linker zum Patrioten wurde. dtw-Verlag 2022, ca. 580 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen, mit vielen Fotos. Zu beziehen über dtw-Buch und Compact-Shop. VERLAGSTEXT: „Wie ein Linker zum Patrioten wurde – eine faszinierende Reise durch die letzten 50 Jahre, vom Kalten Krieg über die Wiedervereinigung bis zum Great Reset. Viele Personen der Zeitgeschichte hat Elsässer persönlich kennengelernt, mit ihnen zusammengearbeitet, gestritten, sie interviewt: Jürgen Trittin, Slobodan Milosevic, Hermann Gremliza, Oskar Lafontaine, Mahmud Ahmadinedschad, Ken Jebsen, Oliver Janich, Frauke Petry, Günter Gaus, Sahra Wagenknecht, Björn Höcke, Daniel Goldhagen, Peter Scholl-Latour, Alice Weidel, Götz Kubitschek, Martin Sellner, Michel Friedman, Xavier Naidoo, Egon Bahr. Nur Elsässer erlebte aus nächster Nähe, wie die Linken ihre Ideale verrieten und sich mit den Eliten verbündeten – und wie die AfD im Morast des Parlamentarismus an Boden verlor. In der Freiheitsbewegung gegen die Corona-Diktatur sieht er die Chance für einen neuen revolutionären Aufbruch.“

 

 

 

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