Kerntechniker Gradic bestätigt Ausstiegswillen der KKW-Betreiber

KKW Grafenrheinfeld (bis 2015) — Foto: Wikipedia/Avda

Politischer Willkür ausgesetzt

Kernenergienutzung nur bei gesellschaftlichem Rückhalt

Von Helmut Gradic — Dresden, 17. Juni 2019

Die Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland (e.on, RWE, ENBW und Vattenfall) wurden Anfang der Siebzigerjahre von der Politik (CDU/CSU, SPD und FDP) gedrängt, Kernkraftwerke zu bauen und zu betreiben. Die Firmen haben damit eine Menge Geld verdient. Aus folgenden Gründen lehnen sie heute eine Laufzeitverlängerung ab:

(1)
Durch die ständige Atomaufsicht gemäß Paragraph 19 Atomgesetz (§ 19 AtG) sind die Firmen nicht mehr frei in ihren unternehmerischen Entscheidungen. In einem ausstiegsorientierten Szenario sind sie der politischen Willkür, auch mit dem Ziel die Kernenergie teuer zu machen, wehrlos ausgesetzt. Dazu gehören zum Teil sinnlose aber teure Nachrüstungen, Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente, Verbot des Transports abgebrannter Brennelemente mit dem Zwang teure Standortzwischenläger zu errichten und zu betreiben, obwohl ausreichend Zwischenlagerkapazität in Gorleben und Ahaus vorhanden ist. Nachdem die Firmen sich zunächst dagegen gewehrt haben, wurden ihre Kraftwerke mit „Nadelstichen“ (verzögerte Wiederanfahrgenehmigung nach Brennelementwechsel oder Abfahren der Anlage aufgrund technischer Nichtigkeiten) gegängelt, so dass sie den Konsens mit der Politik eingegangen sind.

(2)
Durch die politisch durchgesetzte Abschaffung sämtlicher Forschung und Lehre zur Kernspaltung an den deutschen Universitäten fehlt der Nachwuchs, um das Personal in den Kernkraftwerken zu ersetzen.

(3)
Das letzte Kernkraftwerk ging in Deutschland 1988 in Betrieb. Es gab in diesen 30 Jahren keinen Neubau. Das heißt die meisten Zulieferfirmen, die Komponenten für Kernkraftwerke produziert und geliefert haben, haben sich aus dem Kernkraftwerksgeschäft zurückgezogen. Die Firma Siemens (mit ihrer Tochterfirma Kraftwerk Union), die alle kommerziellen Kernkraftwerke in Deutschland gebaut hat (bis auf Mühlheim-Kärlich), hat das Kernkraftwerksgeschäft aufgegeben. Insofern ist die Ersatzteilversorgung zusammengebrochen bzw. bei den hohen Qualitätsanforderungen und den geringen Stückzahlen extrem teuer.

(4)
Die Endlagerung des Atommülls wurde von der Politik extrem verteuert. Obwohl „Schacht Konrad“ als Endlager für nicht wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle mit Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 27. März 2007 letztinstanzlich genehmigt wurde, lässt die Bundesregierung es nicht in Betrieb gehen. Der Salzstock in Gorleben wurde für zirka 1,9 Milliarden Euro untersucht und durch die KKW-Betreiber bezahlt. Aufgrund der Ergebnisse ist er als langzeitsicheres Endlager auch für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle bestens geeignet. Aber die Bundesregierung hat ein Moratorium (Verbot der weiteren Untersuchung) erlassen, um den formalen Abschluss der Untersuchung zu verhindern. Stattdessen hat sie am 23. Juli 2013 das Standortauswahlgesetz (StandAG) verabschiedet, das zum Ziel hat, das „beste“ Endlager zu finden. Dies hätte unvorhersehbare Kosten verursacht, deshalb haben die KKW-betreibenden Firmen der horrenden Zahlung von über 20 Milliarden Euro zugestimmt, damit der Bund die Endlagerung übernimmt.

(5)
Nicht zuletzt die fehlende Akzeptanz der Kernenergie in Deutschland (aufgrund der Kernenergieverteufelung in den Medien) hat dazu geführt, dass die KKW-betreibenden Firmen häufig den Rechtsweg nicht beschritten haben und das schlechte Image nicht mehr mit ihrem Namen in Verbindung bringen wollen.

Deshalb machen die großen Elektrizitätsversorgungs-Unternehmen keine Firmenpolitik gegen den Primat der Politik. Kernenergie ist nur bei großem gesellschaftlichen Rückhalt interessant.

DER AUTOR

Helmut Gradic hat Abschlüsse als Dipl.-Ing. für Kerntechnik und als Dipl.-Ing. für Elektrotechnik. Er hat neun Jahre in der Fachabteilung für Leittechnik und Sicherheitsleittechnik der Kraftwerk Union AG gearbeitet und war 26 Jahre in einem Kernkraftwerk für die Leittechnik verantwortlich. 2010 hat Helmut Gradic eine WANO-Mission zum amerikanischen Kernkraftwerk D. C. Cook geleitet; er kennt die deutlichen Auslegungsunterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Kernkraftwerken. — Für die Veröffentlichung auf unserer Webseite gab uns der Autor die freundliche Genehmigung.

Zum Artikel von Anna Vero Wendland: Wie die Kerntechnik kaputtgemacht wurde

Zurück