Kolumne „Zu guter Letzt“ in Smart Investor 10/2022

Bildquellen: Illustration Willy Wimmer: Smart Investor; Foto: ThePixelman auf Pixabay

Less Trust

Von Willy Wimmer (CDU), ehemaliger Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium

Von Willy Wimmer. — Oktober 2022

Wie groß die Misere des britischen Wirtschafts- und Soziallebens auch ist, London geht unverdrossen seiner Lieblingsbeschäftigung nach: „Global Britain“, wenn auch nur noch im Matchbox-Format. Dabei sind es oft die anderen, deren junges Leben im Interesse des Empire geopfert wird. So auch in der Ukraine: Nachdem – laut Feststellung der OSZE – ab dem 16.2.2022 ukrainische Artillerieüberfälle den jahrelangen Bürgerkrieg im Donbass mit mehr als 13.000 Toten erneut befeuert hatten, überschritten russische Streitkräfte am 24.2.2022 die russisch-ukrainische Grenze. Noch kurz zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich seines Moskaubesuchs diese Toten in menschenverachtender Weise relativiert. Die fragwürdige Botschaft: Was gelten russische Leben, wenn es um die Durchsetzung westlicher Ziele geht?

Mit der Torpedierung aller auf Beendigung der Feindseligkeiten abzielenden Verhandlungen zeigte die Achse Washington–London ihren ganzen Zynismus. Ein Schweigen der Waffen darf es nicht geben. Da sind sich Washington und London einig. Frau Nuland, Washingtons Posaunenengel für NATO-Kriegszüge, hatte noch zum Kiewer Putsch im Jahr 2014 das in den Sand gesetzte US-Investment von 5 Mrd. USD beklagt. Dem waren seither weitere Budgets in mehrfacher Höhe nachgefolgt. „À fonds perdu“ will man das Ganze nicht abschreiben, solange sich noch ukrainische Formationen für die eigenen Interessen verheizen lassen. Danach, wenn der große Stoß gegen Russland geführt werden soll, steht die Frage nach NATO-Bodentruppen an.

Denn darauf ist alles abgestellt – und das schon seit Jahrzehnten. Die Charta von Paris vom November 1990 war gerade erst verabschiedet, als durch die Wolfowitz-Doktrin aus dem Frühjahr 1992 die neue, alte Stoßrichtung festgelegt wurde – diesmal gegen Russland statt gegen die Sowjetunion. Nach dem Putsch von Kiew im Jahr 2014 und den unmittelbar folgenden bürgerkriegsähnlichen Vorkommnissen war vielen in Europa klar, dass nur in dem Minsk-Verständigungsansatz eine Chance zur Befriedung bestand. Aber die USA und Großbritannien waren schon hier eher an der Sabotage des Minsk-Prozesses interessiert. Bis zum letzten Augenblick haben die USA alles unternommen, Sicherheitsstrukturen für die Ukraine vorzusehen, die die fehlende NATO-Mitgliedschaft ersetzen sollten.

Nun tritt Liz Truss, die von der Queen in einer ihrer letzten Amtshandlungen frisch vereidigte Premierministerin Großbritanniens, dieses Erbe an. Schon als Außenministerin schien sie den Falken Boris Johnson zu überflügeln. Truss bedeutet für unsere Zukunft also „less trust“ (= weniger Vertrauen). Eine Friedensregelung wird kaum getroffen werden. Die Zielvorgabe wurde auch durch die deutsche Außenministerin Baerbock verbalisiert: Es gehe darum, Russland auf die Knie zu zwingen. Für ein deutsches Regierungsmitglied, das den besonderen Verpflichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist, waren das ungeheuerliche Aussagen. Es geht um nicht mehr oder weniger als die Vernichtung des uns bekannten Russland. Durch Nord Stream 2 soll und wird danach Gas fließen. Es wird aus Russland stammendes Gas sein, allerdings unter US-Kontrolle. Dem Vernehmen nach hat US-Staatssekretärin Nuland Anfang Oktober 2021 bei ihrem Besuch in Moskau ein entsprechendes „letztes Angebot“ unterbreitet: bedingungslose Kapitulation Russlands und russische Gefolgschaft für die angelsächsische Welt. So sieht vermutlich der Auftakt zu Armageddon aus.

DER AUTOR

Willy Wimmer (*1943) war als CDU-Politiker von 1976 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Wimmer zog 1976 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Rheydt – Grevenbroich II in den Bundestag ein. Bei den Bundestagswahlen von 1980 bis 1998 gewann er stets das Direktmandat im Wahlkreis Neuss II. Bei den Wahlen von 2002 und 2005 gewann er das Direktmandat im Wahlkreis Krefeld I – Neuss II. 2005 erreichte er hier 47,4 % der Erststimmen.
Wimmer war von April 1985 bis Dezember 1988 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und konnte internationale Kontakte knüpfen, auf die er später als Parlamentarischer Staatssekretär (1988–1992) unter Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und als Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (1994–2000) aufbauen konnte.
Als Verteidigungsminister übungshalber nahm Wimmer 1986 an der NATO-Übung WINTEX im Regierungsbunker Marienthal teil. Im Verlaufe dieser NATO-Übung habe das NATO-Hauptquartier in Brüssel die Zustimmung zu einem Einsatz von Nuklearwaffen gegen Dresden und Potsdam erbeten. Wimmer lehnte es ab, sich weiter an der Planung eines Atomwaffeneinsatzes auf deutschem Boden zu beteiligen. Bundeskanzler Helmut Kohl habe daraufhin entschieden, dass sich die Vertreter der Bundesregierung sofort aus der weiteren Übung zurückziehen sollten. Die Übung sei dann ohne deutsche Beteiligung fortgesetzt worden.
Vom 19. Dezember 1988 bis 1. April 1992 war Wimmer Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung mit den besonderen Schwerpunkten: Integration der Streitkräfte in Deutschland und Zusammenarbeit mit der Westgruppe der Truppen (ehemals Sowjetunion, nunmehrige Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) im Kabinett Kohl III und Kabinett Kohl IV. Am 1. April 1992 schied er gemeinsam mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg aus dem Amt. (Wikipedia)

DIE QUELLE

Smart Investor. Das Magazin für den kritischen Anleger – Ausgabe 10/2022 www.smartinvestor.de
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