Michael Stöcker: SERIE (1) Über den Sinn und Zweck von Staatsschulden

— Foto: © Bildarchiv der Deutschen Bundesbank

Die Rolle der Schulden in unserem Geldsystem

Im ersten Teil dieser Beitragsserie soll es um den Begriff der Schuld gehen und welche Bedeutung Schulden für unser Geldsystem haben.

Von Michael Stöcker. — Dresden, 10. Dezember 2020

Die durch Corona bedingten Sonderausgaben und Mindereinnahmen lassen das Haushaltsdefizit in diesem Jahr allein in Deutschland auf vorläufig 180 Mrd. EUR ansteigen. Viele Menschen machen sich hierüber große Sorgen und fragen sich, wo das noch enden soll. Die folgende Beitragsserie soll ein wenig Licht in die aktuelle Schulden-Debatte bringen und die Bedeutung von Staatsschulden aus der emotionalen Ecke herausholen und auf eine rationale makroökonomische Ebene heben. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Nichts/Wenig ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

■ Im ersten Teil dieser Beitragsserie soll es um den Begriff der Schuld gehen und welche Bedeutung Schulden für unser Geldsystem haben.

■ In Teil zwei werden wir genauer auf den Unterschied zwischen staatlichen und privaten Schulden eingehen.

■ Im dritten Teil schauen wir uns dann an, wie es um die Verschuldungssituation in Deutschland sowie im Rest der Welt aktuell bestellt ist und welche Vorstellungen es zur maximalen Verschuldungshöhe gibt.

■ In Teil vier werden wir dann analysieren, welche Vorschläge zur Schuldenstabilisierung oder zur Schuldenreduktion welche Konsequenzen haben werden.

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In unserem Sprachgebrauch ist der Begriff Schuld eindeutig negativ besetzt. Tatsächlich macht die deutsche Sprache keinen Unterschied zwischen Schuldner und Kreditnehmer. Auch das zweite Buch des BGB trägt den Titel Schuldrecht bzw. Recht der Schuldverhältnisse, obwohl es überwiegend um Vertragsverhältnisse geht. Semantisch tief verankert ist der Schuldbegriff zudem durch das mea culpa des katholischen Schuldbekenntnisses, das dogmengeschichtlich auf die Erbsünde verweist. Schuld und Sünde liegen von daher in unserer subjektiven Wahrnehmung sehr nahe beieinander. Somit ist es wenig verwunderlich, dass wir auch die Staatsschulden in einem negativen Licht sehen.

Aus persönlicher Erfahrung weiß so mancher, wie schwer es sein kann, von seinen Schulden wieder loszukommen, wenn man mal den Überblick verloren hat oder das Schicksal einem übel mitgespielt hat. Aus individueller Sicht sind von daher Schulden immer etwas Schlechtes, wohingegen Guthaben etwas Gutes sind. Das steckt ja schon in dem Wort Gut und Haben drin. Es ist eben gut, wenn man etwas hat; Hauptsache es sind keine Schulden.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, bei wem wir etwas gut haben, wenn wir z. B. auf dem Festgeldkonto 10.000 Euro haben? Nun muss man wissen, dass unser Geldsystem ein sogenanntes Schuldgeldsystem ist. Das heißt, ein Guthaben auf unserem Girokonto kann nur dann entstehen, wenn sich irgendein anderer bei einer Bank verschuldet hat. Denn Geld ist nichts anderes als umlauffähige Schulden. Deswegen sprechen wir auch von Giralgeld, bzw. vom Girokonto (italienisch Giro = Kreis).

Geldvermögen und Geldschulden sind zwei Seiten derselben Medaille

Wir können also als ersten Zwischenschritt festhalten: Geldvermögen und Geldschulden sind zwei Seiten derselben Medaille. Geldvermögen/Guthaben können nur dann gebildet werden, wenn sich ein anderer hierfür zuvor verschuldet hat (mehr dazu in diesem kurzen Video der Bundesbank: Wie entsteht Buchgeld).

Schulden und Guthaben müssen also immer zusammen gedacht werden. Es stimmt von daher irgendetwas nicht mit der Geschichte, dass Schulden immer schlecht sind und wir von daher keine Schulden machen dürfen. Wir müssen also mehr differenzieren: 1. wer verschuldet sich und 2. wofür werden die Schulden gemacht?

In einer offenen Volkswirtschaft gibt es 4 Akteure:

1. die privaten Haushalte
2. die Unternehmen
3. der Staat
4. das Ausland

Jeder dieser Akteure kann sich verschulden, Ersparnisse bilden oder neutral bleiben (keine Kredite aber auch kein Geldvermögen). Dabei ist stets zu beachten, dass die Summe aller Schulden immer exakt gleich hoch ist wie die Summe aller Ersparnisse. Der Saldo aus Geldschulden und Geldvermögen beträgt also immer exakt 0,00 Euro.

Die privaten Haushalte bilden die Ersparnisse

Die privaten Haushalte sind in der Regel diejenigen, die die Ersparnisse bilden; insbesondere auch deshalb, weil die gesetzliche Rente für die meisten im Alter nicht mehr ausreichend hoch sein wird. Damit dies auch tatsächlich funktioniert, muss einer der drei anderen Akteure die korrespondieren Schulden machen; also die inländischen Unternehmen, der Staat oder aber das Ausland (ausländische Unternehmen und/oder Staaten).

In einer marktwirtschaftlichen Ordnung kann keiner dazu gezwungen werden, zusätzliche Schulden zu machen, damit die privaten Haushalte zusätzlich sparen können.

In einer idealen Volkswirtschaft sind es insbesondere die Unternehmen, die sich für produktive/investive Zwecke bei den Banken verschulden (Investivkredit). Solche investiven Kredite führen zu positiven Rückkopplungen und somit Wirtschaftswachstum. Es sind letztlich die kurzfristigen Kreditzyklen, die einen typischen Konjunkturzyklus steuern. Dieser dauert in der Regel zwischen 5 und 8 Jahre.

Darüber hinaus gibt es aber auch den langfristigen Kreditzyklus, der sich über einen Zeitraum von 75 bis 100 Jahren erstreckt; also ein Ereignis, dass jeder nur einmal in seinem Leben erlebt.

Wir haben es aktuell mit einem Synchronverlauf dieser zwei Kreditzyklen zu tun: Der langfristige Kreditzyklus, der nach dem zweiten Weltkrieg begann und uns sehr viel Wohlstand gebracht hat, ist zu seinem Ende gekommen (Finanzkrise seit 2007) und zusätzlich hat die Coronakrise nun dazu geführt, dass viele Unternehmen noch pessimistischer in die Zukunft schauen und die Banken ebenfalls vorsichtiger geworden sind bei der Gewährung neuer Kredite.

Es muss immer wieder einen Nachschuldner geben

Die Folge: Viele wollen z. Z. eher ihre Schulden abbauen oder aber bekommen von den Banken keine neuen Kredite. Das gilt ebenso für das Ausland. Zugleich sparen die Haushalte Corona bedingt mehr. Damit sinken zeitsynchron die Umsätze der Unternehmen (die Ausgaben des einen sind immer die Einnahmen des anderen) und damit wird es schwieriger und teilweise unmöglich für die Unternehmen, ihre fälligen Kredite zu bedienen.

Damit unser Geldsystem funktionsfähig bleibt, muss es immer wieder einen Nachschuldner geben, damit die bestehenden Kreditketten nicht reißen und es zu einer ökonomischen Katastrophe kommt wie in der großen Depression von 1929 mit anschließender politischer Radikalisierung.

Mehr zu diesen elementaren Grundprinzipien sowie der Rolle der Zentralbanken gibt es in diesem Videobeitrag von Ray Dalio: Wie die Wirtschaftsmaschine funktioniert

Im zweiten Teil werden wir dann genauer auf den Unterschied zwischen staatlichen und privaten Schulden eingehen.

DER AUTOR

Dipl.-Hdl. Michael Stöcker betreibt den Blog Zinsfehler.

 

 

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