Prof. Thorsten Polleit: Zentralbank beendet die freie Marktwirtschaft

Prof. Dr. Thorsten Polleit — Foto: FB privat

Negativzinsen sind der Untergang

Wohlstandszuwachs schwindet und irgendwann platzt die Blase

Aus unserer Redaktion. — Dresden, 16. August 2019

Prof. Dr. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa, hat mit einem Grundsatzartikel bei FOCUS-Online am 14. August 2019 für Aufsehen gesorgt. Er kommentiert: „Negativzinsen sind der Untergang: Zentralbank beendet die freie Marktwirtschaft“. Der Anlass liegt wenige Tage zurück: „Der Rat der EZB hat auf seiner letzten Sitzung am 25. Juli 2019 die Leitzinsen zwar unverändert gehalten. Doch gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi den Boden bereitet, um die Zinsen in den kommenden Monaten noch weiter abzusenken.“

Prof. Thorsten Polleit schreibt:

Wer gehofft hat, es könnte nicht schlimmer kommen mit der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), der sieht sich getäuscht: Der Hauptrefinanzierungszins wurde bei 0,0 Prozent, der Einlagenzins bei minus 0,40 Prozent belassen.

Die Inflation „ falle zu niedrig“ aus, so der EZB-Rat, und die Wirtschaft sei zu schwach. Mit eben dieser Einschätzung wurde den Märkten signalisiert, dass sie mit einer baldigen Leitzinssenkung zu rechnen haben: Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Einlagenzins auf der nächsten EZB-Sitzung im September um 0,2 Prozentpunkte auf minus 0,60 Prozent abgesenkt wird; und sogar der Hauptrefinanzierungszins könnte auf minus 0,20 Prozent fallen. Der fortgesetzte Weg in die Negativzinswelt hat dramatische Folgen.

Und Prof. Polleit schlußfolgert nach einer ausführlichen Erläuterung des Zinsmechanismus:

Die Geldpolitik der Null- und Negativzinsen führt – wenn man sie konsequent zu Ende denkt – zum Untergang der freien Gesellschaft, wie man sie in der westlichen Welt bisher gekannt hat. Ihre zerstörerische Wirkung wird jedoch nicht für jedermann sofort ersichtlich, weil die Null- und Negativzinsen zunächst einen künstlichen Konjunkturaufschwung in Gang halten, der die Volkswirtschaft eine ganz Zeit lang quasi ungestraft aus der Substanz leben lässt.

Erst nach und nach werden die Schäden sichtbar. Der Wohlstandszuwachs schwindet; die politischen Verteilungskämpfe nehmen zu; der Staat wird immer mächtiger; die Freiheitsgrade für Bürger und Unternehmen nehmen ab; und irgendwann kollabieren auch die Vermögenspreise, platzt die Blase, weil die Leitungsfähigkeit der Volkswirtschaft immer stärker beeinträchtigt wird: Unternehmen machen weniger Gewinn, Arbeitsplätze gehen verloren, Konsumenten müssen ihre Nachfrage einschränken.

Das alles führt zu wirtschaftlicher Verarmung und sehr wahrscheinlich auch zu politischem Chaos. Die Null- und Negativzinspolitik sägt sprichwörtlich den Ast ab, auf dem die Wohlfahrtsdemokratie der westlichen Welt Platz genommen hat. Ihre katastrophalen Wirkungen sind schon heute einsehbar. Dass den Zentralbanken nicht das Handwerk gelegt wird – nicht von den Ökonomen, nicht von der Politik, nicht von den Bürgern –, ist eine der ganz großen Tragödien unserer Zeit.

Der Dipl.-Volkswirt Markus H. Schiml, Gründer und Leiter des Instituts für ökonomische Bildung campus², bedankt sich auf Facebook bei Prof. Polleit und blickt zurück:

Vor 15 Jahren wurden wir „Austrians“ von der Mainstreamwissenschaft belächelt, als man vor japanischen Verhältnissen warnte. Jetzt ist das theoretische Konstrukt von Keynes einer Liquiditätsfalle wohl in der globalen geldpolitischen Praxis angekommen. Die Idee von Silvio Gesell und seinen Anhängern von Negativzinsen ist nach 100 Jahren „gesellschaftstauglich“ geworden. Sogar in der Wissenschaftszentrale der Geldpolitik. Parallelwährungen und Regionalwährungen wurden vor 15 Jahren von den Notenbanken nur müde belächelt. […]

Ich erachte die Idee und die Überlegungen der Austrians damals und heute als sehr real und wichtig. Nun ziehen die Notenbanken alle Register und greifen auf eben dieses Gedankengut von Gesell und Steiner zurück. „Spinner!“ „100 Jahre alt!“ Gleichzeitig hat der Markt den „Wettbewerb der Währungen“ eingeläutet: Goldpreisralley, Silberpreisralley, Kryptohyp, Libra, etc.! Die Notenbanken gehen zwar rhetorische von zu wenig Inflation aus, um ihren Wahnsinn zu rechtfertigen und schönzureden. Der Boom an den Aktien-, Immobilien- und Anleihemärkten sagt aber das Gegenteil: „Vermögenspreisinflation!!“ „Wenn es eng wird, so muss man eben lügen!“ Und es wird sehr, sehr eng! […]

Mit den Worten von Roland Baader könnte man frei sagen: „Wenn man laut nach Gott ruft, so könnte bald auch der Teufel vor der Tür stehen!“ Viele werden sich wohl noch wundern! „Gottspieler“ und Dogmatiker aufgepasst! Es empfiehlt sich, das Buch von Roland Baader „Geld, Gold und Gottspieler“ zu lesen!

DER AUTOR

Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt der Degussa und volkswirtschaftlicher Berater des P&R REAL VALUE Fonds.

QUELLE

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