Dr. Joachim M. Keiler kommentiert die deutschen Alleingänge

„Für deutsche Interessen in Europa“ Wahlplakat von 1989 und Friedrich Merz bei einem Auftritt 2022 — Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung/Wikimedia; European People's Party/Wikimedia

Deutschland isoliert sich international

Auf EU-Ebene hat Merkel Deutschland mit ihren einsamen Entscheidungen isoliert. Daran ändert eine nachträgliche Geschlossenheit der Union nichts.

Von RA Dr. Joachim M. Keiler, MdL. — Dresden, 18. November 2022

„So ein Jahr wie 2021 werde sich nicht wiederholen zwischen CDU und CSU“, sagte Merz. Damals habe die Union mit der Wahlniederlage die Antwort auf ihre andauernden Streitigkeiten erhalten. „Das war nicht so, weil die anderen so gut waren. Sondern das war, weil wir nicht mehr gut genug waren.“ Merz forderte CDU und CSU für die Zukunft zur Geschlossenheit auf. „Wir sind unschlagbar, wenn wir zusammenhalten.“

Dazu von mir als ehemaliges CSU-Mitglied Folgendes:

Das war kein Geschlossenheitsproblem. Vielmehr hatte die Union zwei „Kanzlerkandidaten“: Laschet und Söder. Eine Migrationspolitik unter Merkel gab es faktisch nicht. Auf EU-Ebene hat Merkel Deutschland mit ihren einsamen Entscheidungen isoliert. Daran ändert eine nachträgliche Geschlossenheit der Union nichts.

Richtig ist, dass die deutschen Alleingänge zu immer stärkerer Kritik anderer EU-Staaten führen. Auch das Energiechaos ist bereits unter Merkel angelegt gewesen. Wer aus Atomkraft und kurz danach aus faktisch allen fossilen Energieträgern aussteigt, schafft europaweit Probleme. Wenn dann noch Sanktionen gegen Lieferanten der „Brückenenergie“ Gas hinzukommen, ist das Chaos perfekt.

Die Stromerzeugungsverfahren sind in den Ländern unterschiedlich angelegt. Das bedeutet, dass in der EU Maßnahmen eines großen industriellen Mitgliedslandes immer Auswirkungen auf die anderen Mitgliedsländer haben. Die Abhängigkeiten untereinander sind zu stark, als dass ein Land die Richtung vorgeben könnte. Die Integrationspolitik ist hingegen nicht so weit vorgeschritten, dass die Dominanz eines Landes andere Länder in Linie zwingt. Das gilt für die Migrationspolitik wie für die Energieversorgung.

Wenn nun die Union und vor allem Söder urplötzlich gegen die Grünen wettert, so wettert er gegen die unkritische Haltung der Union gegenüber den Grünen, die Ideologie gegen Realität setzen. Und das hat die Union durchgängig mitgemacht. Das kommt davon, wenn man nicht das Wohl des Landes, sondern Machterhalt um jeden Preis zum Leitbild tragweiter Entscheidungen macht. Die Schwachstellen treten jetzt in der Krise – die wievielte? – deutlich zu Tage.

Es war auch die Union, insbesondere Schäuble, der in der Griechenland-Krise, die Griechen zum Verbleib im Euro zwang und den Griechen derart harte Maßnahmen – kontrolliert von der Troika – aufzwang, wie den Verkauf von Häfen an die Chinesen. Der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis singt hiervon ganze „Lieder“. Wie würden die damaligen Auflagen wohl unter heutigen Bedingungen beurteilt? Und in dieser Krise damals mussten die Griechen als Küstenland Migrantenströme verkraften. Die wirre Politik der Union hat erst die Situation geschaffen, dass es den „armen“ Süden gibt.

Und aktuell soll diese Schieflage durch eine Sozialunion kompensiert werden. Jetzt wird der Versuch unternommen, den Mangel zu verteilen. Allerdings tritt zu Tage, dass der „Exportweltmeister“ Deutschland den armen Süden über den Euro in eine Inflation geführt hat, die nicht vor Deutschland Halt gemacht hat.

Um den Abstand zum Dollar nicht noch zu verstärken, ist die EZB gezwungen, die Zinsen wie die Amerikaner zu erhöhen. Sonst wird der Abstand zu groß und der Einkauf von Vorprodukten und Energieträgern noch teurer. Das würgt den Binnenkonsum in der EU ab und führt zu einem Verschuldungszwang. Die Bonität der EU leidet. Das kann Deutschland nicht mehr auffangen. Diese Erkenntnis macht sich in der EU breit.

Die „Schönwetterreformen“, die geplant waren, liegen auf Eis. Jetzt ist noch Schadenbegrenzung angesagt. Das wird den europäischen „Integrationsprozess“ kaum befördern angesichts weiterer exogener Schocks in Folge der amerikanischen Weltbeglückungspolitik: Syrien, Afghanistan, Iran und auch die Ukraine. Noch nie gab es so viele gewaltbegleitende Auseinandersetzungen wie derzeit.

Vielleicht wäre weniger Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten anderer Länder die Lösung? Demokratie muss von innen kommen. Ist eine aufgezwungene Demokratie, die nicht standhält, demokratisch? Ist eine Art „Zwangsdemokratisierung“ nicht auch „Zwangsmissionierung“? Gibt es neben der Religionsfreiheit eine Staatsorganisationsfreiheit? Sind Vertragsverletzungsverfahren einer EU gegen Mitgliedstaaten wegen angeblicher „Demokratiedefizite“ und Sanktionen (wir geben euch kein Geld, wenn ihr bei diesem oder jenem nicht mitmacht) demokratisch?

Wer bestimmt überhaupt, was demokratisch ist und was ein EU-Bürger glauben muss? Aus welchem kulturellen und aus welchem Wertekanon wird das abgeleitet? Die Krisen gegen Anlass, vieles, was sich bei „Schönwetter“ eingeschliffen hat, auf den Prüfstand zu stellen. Dazu hat die Union ja jetzt bei der von Merz wieder aufgenommenen Überprüfung des Grundsatzprogrammes reichlich Gelegenheit. Ein Blick in das Gründungsprogramm der AfD könnte helfen.

DER AUTOR

Dr. Joachim M. Keiler ist Mitglied des Vorstands des Hayek-Vereins Dresden. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Vereins wieder und werden hier als Diskussionsbeitrag veröffentlicht.

 

 

 

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