Dresdens älteste erhaltene Stadtansicht – ein Kupferstich von 1555

Dresden 1555 — Kupferstich nach Heinrich van Cleef

Van Cleef, 1555: Dresdens älteste erhaltene Stadtansicht

Der „Canaletto-Blick“ auf Dresden im Jahre 1748, jene Vedute des Venezianers Bernardo Bellotto, zählt zu den populärsten Städtebildern der Welt und ist jedem Dresdner ein Begriff. Wenig bekannt blieb indes ein Kupferstich des Flamen Heinrich van Cleef, der 200 Jahre zuvor die wohl älteste erhaltene Ansicht der Elbestadt zu Papier brachte. Ein Dresdner Antiquar, Bert Wawrzinek, welcher heuer sein 30. Firmenjubiläum begeht, hat ihn uns einmal vorgestellt.

Von Bert Wawrzinek. — Dresden, 14. November 2020

Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hielt die Fachwelt Franz Hogenbergs Dresden-Kupferstich in Georg Brauns Städtebuch „Civitates orbis terrarum“ (1572) für die älteste erhaltene Ansicht Dresdens. Zwei frühere Prospekte von 1529 und 1547 fanden noch um 1800 Erwähnung; und – wenn sie überhaupt je existierten – galten schon damals als verlorengegangen.

Im Jahre 1906 erschien in den Dresdner Geschichtsblättern ein Beitrag des Ratsarchivars Otto Richter (1852 – 1922), worin diese bisherige Auffassung revidiert und der Blick auf den Maler Hendrick (Heinrich) van Cleef (Henricus a Cleve) gelenkt wurde. Richter verwies zunächst auf einen Eintrag im „Verzeichnis der Landkarten und vornehmsten topographischen Blätter der Sächsischen Lande“ (Meißen 1796) des kurfürstlichen Oberbibliothekars Johann Christian Adelung.

Auf Seite 65 hatte dieser auch einen Prospekt von Dresden verzeichnet, „enthalten in Henrici a Cleve: ‚Ruinarum ruriumque aliquot delineationes‘, 1587“ (abweichend: Ruinarum varii Prospectus, ruriumque aliquot delineationes, 1604). Genau diese gestochene Ansicht also war 1906 vom Stadtmuseum Dresden erworben worden. Sie entstammt dem genannten, in Antwerpen erschienenen Werk mit insgesamt 38, nach Cleefs Zeichnungen von Philipp Galle gestochenen und gedruckten Ansichten. Adelung aber könne das von ihm genannte Blatt (Nr. 27 der Collection) selbst nicht gesehen haben, so Richter, da jenes seltene Buch zu dieser Zeit in keiner sächsischen Bibliothek vorhanden war, was sich auch bis heute nicht geändert hat.

Von Antwerpen nach Italien, über Dresden zurück

Heinrich van Cleef, um 1525 in Antwerpen geboren, soll nach einer Ausbildung bei dem Maler Frans Floris nach Italien gereist und 1555 in seine Heimatstadt zurückgekehrt sein. Im gleichen Jahr heiratete er Paschasia Suys. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, die wie Vater Cleef Maler wurden. Nach 1590 soll der Künstler in Antwerpen gestorben sein. Bilder des Landschaftsmalers Cleef sind offenbar nicht erhalten, wohl aber zahlreiche Stiche und Landschaftszeichnungen.

Doch wann genau nun ist Cleef in Dresden gewesen, um nichts weniger als die Stadtsilhouette – in einem vorweggenommenen „Canaletto-Blick“ – vom gegenüberliegenden Elbufer aus für die Nachwelt festzuhalten?

Mit Bestimmtheit nennt Otto Richter das Jahr 1555 als Entstehungsdatum, da Cleef den Schössereiturm des Residenzschlosses schon in der 1553 erhaltenen Form darstellt, und weiter anzunehmen ist, daß der Abstecher des Künstlers nach Dresden erst auf seiner Rückreise erfolgte.

Allerdings zeigen die Ansichten im genannten Buch fast ausschließlich römische oder griechische Altertümer südlich der Ewigen Stadt. Ausnahmen bilden das Aquädukt von Segovia (Kastilien), eine toskanische Brücke und eben Dresden, was den Reiseplan des Flamen kaum plausibler macht.

Nicht weniger interessant aber ist die Frage, was genau wir auf der stimmungsvollen Vedute, die Richter als eine „gute Ansicht der Stadt“ charakterisiert, überhaupt betrachten können.

Die Silhouette im Detail

Besonders jene wichtigsten beiden Bauwerke, die mächtige Elbrücke und das Schloß, seien, so der Ratsarchivar, mit einer für diese Zeit „nicht gewöhnlichen Genauigkeit“ gezeichnet. Ganz links auf der Brücke fällt das große Tor mit Gatter ins Auge, daneben das Zollhaus.

Auf dem übernächsten Brückenbogen glaubte Otto Richter die bereits 1305 erwähnte Alexiuskapelle mit spitzem Dach und gotischen Erkern zu erkennen, deren Abbild allerdings unbekannt war. Jene Kapelle aber mußte 1541 der Errichtung genannten Zollhauses weichen, Van Cleef kann sie nicht gesehen haben. Am Ende meint die Spitze doch den Turm der (perspektivisch verfehlten) alten Frauenkirche, wie auch Fritz Löffler in seiner Baugeschichte Dresdens schreibt.

Rechts davon ragt ein, von Richter nicht näher bezeichnetes, großes Haus mit Giebel auf, anschließend, wohl dem Anschein nach, die alte Frauenkirche. Oder besser doch die Kreuzkirche, wie Löffler und auch Günther Rehschuh später darstellen werden.

Hinter dem gewaltigen Dach, welches der Ratsarchivar dem „alten Judenhause und Gewandhause“ zuordnet (abgerissen 1591), kann man links die Turmspitze der Rathaus-Kapelle erkennen, rechts davon ein Stück alter Stadtmauer.

Der „sonderbar geformte Turm“ über dem Georgentor indes, markiert für Richter „der Lage nach“ die Kreuzkirche, dazu sei der alles überragende Hausmannsturm in der Mitte „nicht ganz richtig wiedergegeben“. Hier irrte Richter offensichtlich, und nicht allein des östlicher gelegenen Kirchenbaues wegen, auch der Schloßturm zeigt durchaus seine damalige Gestalt (vgl. M. Merians „Prospect. Der Brücken. zu. Dresden“, 1650) und wird seine spätere (heutige) Form erst 1674 – 1678 durch W. C. von Klengel erhalten. Rätselhaft bleibt allein der über dem Georgentor dargestellte Turm.

Rechterhand findet sich der bereits genannte Schössereiturm mit markantem („Flasche“ genannten) Abschluß. Die sich im Hintergrund des Hausmannsturmes gen Himmel reckenden Spitzen bezeichnen die Enden dreier Ecktürme, ein vierter, der Südost-Wendelstein, wird erst später (1683) hinzukommen. Insofern muß die Zuschreibung der rechts neben der „Flasche“ aufragenden Turmspitze offen bleiben, weshalb das Diktum des Dresdner Ratsarchivars, die Wiedergabe von Türmen sei „die schwache Seite Cleefs wie aller Architekten seiner Zeit“, den Perfektionisten trösten mag.

Zu guter Letzt: Die trutzigen Mauern, die das Schloß zur Elbe hin abschirmen, sind militärische Befestigungsanlagen, die durch Festungsbaumeister Voigt von Wierandt gerade errichtet worden waren.

An der Schwelle einer neuen Zeit

Bei aller Entdeckerfreude muß Richter übersehen haben, daß Cleefs Dresden-Prospekt erst 1863 im Bildteil der „Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Dresden von der frühesten bis auf die gegenwärtige Zeit“, von Martin Bernhard Lindau (der das Blatt besessen haben könnte) zutreffend als „älteste Ansicht von Dresden“ bezeichnet, abgedruckt worden war.

In jedem Falle aber bleibt die Cleefsche Ansicht ein schönes Dokument Dresdens auf dem Weg zur glanzvollen Renaissancestadt. Erst wenige Jahre zuvor (1539) war in Sachsen die Reformation eingeführt worden, hatte Herzog Moritz 1547 die Kurwürde an die albertinischen Wettiner gebracht, war Dresden kurfürstliche Residenz geworden.

Noch im gleichen Jahr ordnete Kurfürst Moritz den Umbau seiner Dresdner Burg an, die sich zum repräsentativen Schloß und einem Gründungsbau deutscher Renaissance entwickeln sollte. Unter seinem Bruder, Kurfürst August von Sachsen (1526 – 1586) setzte sich der wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg fort. 1549 vereinigte sich die Stadt, die damals 6.500 Einwohner und 490 Häuser zählte, mit dem rechtselbischem Altendresden.

Die Weichen waren nunmehr gestellt für jene großartige Entwicklung, die Dresden schon bald zu einer der schönsten Städte Deutschlands erheben würde. Ein Künstler aus Antwerpen hat den Beginn jener Aufbruchstimmung festgehalten – als „Schnappschuß“ aus dem Jahre 1555 – auf Dresdens ältester erhaltener Ansicht!

DER AUTOR

Bert Wawrzinek wurde 1959 in Leipzig geboren und lebt heute im Stolpener Land. Im ersten Leben Rockmusiker, betreibt er seit drei Jahrzehnten das Historica Antiquariat im Dresdner Barockviertel und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur sächsischen Geschichte und Kultur.

LITERATUR

Johann Conrad Knauth: Als beym Ausgange des Alten und Eintritt des Neuen Jahres M. DCC. VIII. auf Königl. Maj. und Churfl. Durchl. zu Sachsen hohe Verordnung, das alte Rath-Hauß in Neu-Dreßden translociret ward, wolte dessen Neuen Bau glückwünschend beehren, Dresden 1708.
Fritz Löffler: Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, 7. Auflage, Leipzig 1984.
Günther R. Rehschuh: Die ersten Ansichten der Stadt Dresden, in: Sächsische Heimatblätter 6/1969, S. 28 – 32.
Otto Richter: Die älteste Ansicht der Stadt Dresden, in: Dresdner Geschichtsblätter Nr. 2 (1906), S. 89 – 91 (alle Zitate ebd.)
Ulrich Becker und Felix Thieme: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Band 7, Leipzig 1912, S. 96 f.

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