Energie-Klartext für das Überleben der mittelständischen Wirtschaft

Auf dem Podium: MdB Klaus-Peter Willsch (3.v.l.) und Prof. Fritz Vahrenholt (2.v.r.) — Foto: Initiative Energie-Klartext

Mittelstand positioniert sich gegen die verfehlte Energiewendepolitik

In Limburg begann eine möglicherweise kraftvoll aufkeimende Positionierung der mittelständischen Wirtschaft Deutschlands gegen die verfahrene Energiepolitik.

Von Henrik Paulitz. — Seeheim-Jugenheim, Juli 2022

Eine derart unmittelbare Bedrohung großer Teile des Mittelstands und der dahinterstehenden Arbeitsplätze und Familien, deren Steuern und Sozialabgaben von größter Bedeutung für den Sozialstaat sind, hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch niemals gegeben.

Mittelstandsinitiative Energie-Klartext

 

Die überparteiliche Mittelstandsinitiative Energie-Klartext gab am 29. Juni 2022 den Anstoß für einen ersten „Mittelstandsgipfel“, zu dem der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Rheingau-Taunus-Limburg, Klaus-Peter Willsch, zusammen mit der Mittelstandsinitiative einlud.

Rund 50 industrielle Mittelständler, die weit über 4.500 Arbeitsplätze in der Region repräsentieren, nahmen an diesem Mittelstandsgipfel in der Werkstadt Lounge im Zentrum Limburgs teil. Es ging darum, die unbarmherzigen und zunehmend zerstörerischen Folgen der Energiewende für die Industrie deutlich zu machen und Forderungen mit Blick auf Berlin zu formulieren.

Dramatische Situation im Mittelstand

Dr. Rainer Vinkemeier von der Mittelstandsinitiative Energie-Klartext trug die im Vorfeld im Gespräch mit Unternehmern ermittelten, gravierenden Probleme des Mittelstands vor. Dabei ging es beispielsweise um hoch-dramatische Entwicklungen wie die Versiebenfachung des Gaspreises gegenüber dem Jahr 2021 oder um die Kündigung von Stromverträgen innerhalb von 14 Tagen durch den Versorger.

Ein Unternehmer hatte im Vorfeld deutlich gemacht, wie schnell zahllose mittelständische Betriebe Deutschlands vor dem „Aus“ stehen würden, wenn der chemischen Großindustrie (BASF, Bayer) der Hahn abgedreht werden würde:

Wenn Ludwigshafen und Leverkusen kein Gas mehr kriegen, steht auch bei uns in Limburg binnen Stunden die Produktion. Da gibt es nichts mehr zu managen. Das ist das Ende.

Das Unternehmen ist dabei nicht etwa eine Tochterfirma von BASF, sondern „nur“ auf Vorprodukte angewiesen, die zweimal täglich per Tanklastzug nach Limburg kommen.

Ein anderer Mittelständler, von dessen Überleben allein 1.500 Arbeitsplätze bzw. Familien in der Region abhängen, hatte im Vorfeld des Gipfels zu Protokoll gegeben:

Ohne Gas steht hier um 10 Uhr die Produktion. Abends um 6 sind alle unsere Vorprodukte verdorben. Solchen Stillstand kann man drei Wochen durchhalten, vielleicht vier. Dann ist hier Schluss.

Das, was in Limburg am 29. Juni 2022 im Ton zwar moderat, in der Sache aber sehr klar vorgetragen wurde, hätte in früheren Zeiten der Bundesrepublik Deutschland vermutlich den sofortigen Rücktritt einer Bundesregierung ausgelöst, die in einer dramatischen Situation wie jetzt nicht viel mehr anzubieten hat, als Ratschläge, wie lange und wie kalt man duschen und wie sehr man im Winter frieren soll.

Eine derart unmittelbare Bedrohung großer Teile des Mittelstands und der dahinterstehenden Arbeitsplätze und Familien, deren Steuern und Sozialabgaben von größter Bedeutung für den Sozialstaat sind, hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch niemals gegeben.

Industrie-Verlagerung nach China erhöht die CO₂-Emissionen Der Hochschullehrer und Manager Prof. Dr. Fritz Vahrenholt hob auf relevante Ursachen dieser sich anbahnenden Katastrophe ab und monierte:

Flüssiggas-Terminals an der Nordseeküste wurden von grünen Aktivisten bekämpft, die langjährig bewährte Erdgasförderung durch Fracking, die Nutzung der heimischen Braunkohle mit CO₂-Abscheidung und die CO₂-freie Kernenergie wurden verboten.

Die Industrie in Deutschland sei hocheffizient. „Jede Produktion, die Deutschland verlässt und nach China geht, verdreifacht den CO₂-Ausstoß“. China verursache in absoluten Mengen, in Tonnen pro Bruttoinlandsprodukt (BIP) und inzwischen sogar in Tonnen pro Kopf mehr CO₂ als Deutschland, so Vahrenholt.

Das zeigt, dass die Verlagerung industrieller Produktion von Deutschland nach China, dass also ein Niedergang der deutschen Industrie alles andere als eine Klimaschutzmaßnahme ist. Es zeigt, dass die deutsche Energie- und Klimapolitik eine gefährliche Illusion ist.

Politik soll Kernenergie und Erdgas zulassen

Dr. Kai Schaefer, Geschäftsführer des Rohstoffproduzenten Schaefer Kalk in Diez, sagte auf dem Mittelstandsgipfel, dass die Versorgungssicherheit für die Industrie das A & O sei:

Die derzeitige Preisentwicklung ist eine immense Belastung für unser Unternehmen, welche, im Vergleich zu vor einem Jahr, Energie-Mehrkosten von bis zu einer Million Euro pro Monat bedeuten.

Die Kalkindustrie sei auch als Grundstoffindustrie in vielen Wertschöpfungsketten, unter anderem der chemischen Industrie, Stahlindustrie, Trinkwasser- und Abwasseraufbereitung wiederzufinden, „die ohne Kalk nicht mehr darstellbar sind“.

Klaus Rohletter, Vorstandsvorsitzender der Bauunternehmung Albert Weil, forderte mit Blick auf Berlin, dass sich die Politik nicht länger der Diskussion über Kernenergie und Erdgasförderung in Deutschland verweigern dürfe.

Mittelstand fordert schnelle und deutliche Korrektur der Energiewende

In einem Voting sprachen sich die anwesenden Unternehmer sehr einhellig dafür aus, dass ein Mangel an Gas und Strom in jeden Fall verhindert werden müsse, um Mittelstand und Industrie nicht zu gefährden und um einen wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands zu verhindern. Weder der Krieg in der Ukraine noch der Klimaschutz machen es hinnehmbar, dass es fahrlässig zu staatlichen Rationierungen und Zuteilungen (z.B. Industrie versus Privatkunden, Großbetriebe versus Kleinbetriebe) kommt.

Die Mittelständler stehen den erneuerbaren Energien grundsätzlich positiv gegenüber. Es dürfe aber nicht sein, dass Wind- und Solaranlagen weiterhin ohne entsprechende Speicheranlagen gebaut werden, während parallel die Abschaltung konventioneller Kraftwerke vorangetrieben wird. Denn dann käme es – sobald Wind und Sonne fehlen – unausweichlich zu Versorgungs- und Produktionsunterbrechungen in den Betrieben.

Die Limburger Mittelständler fordern die Politik daher nachdrücklich dazu auf, sicherzustellen, dass der Zubau von Wind- und Solaranlagen künftig „nur noch in Verbindung mit Speichern bzw. Backup-Kraftwerken“ erfolgen sollte, „um die für einen Industriestaat notwendige, unterbrechungsfreie Stromversorgung zu garantieren.“ Ein solches Gesamtsystem würde nicht zuletzt auch zu mehr Kostenwahrheit führen, weil auch die zusätzlich notwendigen Backup-Systeme in den Preis der erneuerbaren Energien mit einfließen würden.

Das „Energiesystem“ der Zukunft sehen die Mittelständler in einer Kombination aus solchen „zuverlässigen Erneuerbaren“ und weiteren wichtigen Elementen, die sie ohne Scheuklappen betrachten. Zu ihnen zählen verlängerte Laufzeiten der letzten Kernkraftwerke ebenso wie die Nutzung der Gaspipeline Nordstream 2, eine Erdöl- und Erdgas-Förderung in Deutschland (modernes Fracking), moderne Kohlekraftwerke ggf. mit Carbon Capture and Storage, sowie moderne und inhärent sichere Kernkraftwerke, die Atommüll verwerten.

Abgeordneter Willsch trägt Forderungen des Mittelstands nach Berlin

Der Wahlkreisabgeordnete Klaus-Peter Willsch steht diesen Forderungen des Mittelstands sehr aufgeschlossen gegenüber und versprach, sie in Berlin in den parlamentarischen Betrieb einzubringen.

„Ich nehme das mit nach Berlin“, so Willsch, der Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages ist. In diesem Ausschuss werde auf seriöse Weise mit an der Wirklichkeit orientierten Zahlen „gerechnet“. Daher besteht berechtigte Hoffnung, dass die Forderungen des Limburger Mittelstandsgipfels dort in ihrer vollen Tragweite verstanden und diskutiert werden.

Er mahnte, es müsse jetzt „in erster Linie darum gehen, in welche Technologien wir einsteigen, statt darum, woraus wir aussteigen“.

Weitere Mittelstandsgipfel folgen

Der Limburger Mittelstandsgipfel war der erfolgreiche Auftakt für dieses Format. Vergleichbare Veranstaltungen organisiert die „Mittelstandsinitiative Energie-Klartext“ auch in anderen Regionen Deutschlands.

Es geht darum, den Mittelständlern einer Region, eines Wahlkreises, die in der Regel nicht gemeinsam für ihre Interessen eintreten (müssen), in der aktuellen, äußerst prekären Zeit die Möglichkeit der zielgerichteten Bündelung ihrer Kräfte vor Ort und eine laute gemeinsame Stimme zu geben. Der Aufwand für die einzelnen Unternehmer bleibt sehr überschaubar und dennoch können Sie sich mit dieser Mittelstandsinitiative alle gemeinsam wirkungsvoll in die Berliner Politik einbringen.

Im Deutschen Bundestag wie auch in der Bundesregierung wird man zur Kenntnis nehmen, dass der Mittelstand eine schnelle und deutliche Korrektur der Energiewendepolitik erwartet, die das Überleben der Unternehmen sicherstellt. Strom-Abschaltungen und Gas-Unterbrechungen sind keine adäquaten Maßnahmen, um das Überleben eines Industrielands sicherzustellen. Haushaltstipps, wie kaltes Duschen, sind keine politische Antwort. Sie zeigen lediglich, dass der Tippgeber die Dimension des Problems nicht ernst nimmt oder verschleiern will. Das angemessene Signal ist es, wenn der Deutsche Bundestag in Kürze zu einer Dringlichkeits- bzw. Sondersitzung zusammentritt und in das traurige Schauspiel ordnend eingreift. Das Limburger Signal weist deutlich in diese Richtung.

KONTAKTE

Sprechen Sie als Unternehmer/in oder als Bundestagsabgeordnete die Organisatoren der Mittelstandsinitiative Energie-Klartext gerne an, wenn Sie Interesse daran haben, dass in Ihrer Region ein Mittelstandsgipfel stattfindet.
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt – E-Mail: fritz.vahrenholt@kaltesonne.de
Dr. Rainer Vinkemeier – Tel. 0611-341557-80 – E-Mail: r.vinkemeier@c21-consulting.de
Henrik Paulitz – Tel. 06257-505-1707 – E-Mail: paulitz@akademie-bergstrasse.de
Webseite der Mittelstandsinitiative Energie-Klartext: Link

DER AUTOR

Henrik Paulitz (geb. 1968) ist Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung (gegründet 2015). Der Friedens- und Konfliktforscher, der seit Jahrzehnten auch mit der Energiepolitik befasst ist, ist Autor u.a. der Bücher „Anleitung gegen den Krieg“ (2016), „Kriegsmacht Deutschland?“ (2018) und „Strom-Mangelwirtschaft“ (2020). Kontakte: Email: paulitz@akademie-bergstrasse.de, www.akademie-bergstrasse.de

 

 

 

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