Günter Dedié und Ramin Peymani: „Zum Teufel mit den Ideologien!“

Wenn Ideologen wie Rattenfänger unterwegs sind ... — Illustration zum Rattenfängerlied, 1921/Wikimedia

Defekte Demokratien und Diktaturen

Günter Dedié und Ramin Peymani erläutern unterschiedliche Herrschaftssysteme. Mit diesem Kapitel ihres aktuellen Buches „Zum Teufel mit den Ideologien! Für eine neue Aufklärung und eine andere Demokratie“ dürfen wir eine Leseprobe vorstellen und auf das Buch hinweisen.

Von Günter Dedié und Ramin Peymani. — 2. Oktober 2022

Defekte Demokratien sind „Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind.“ (Wolfgang Merkel et al. 2003) Die Analyse baut auf seinem Konzept der eingebetteten Demokratie auf (siehe Kap. 17).

Was bedeutet das? Ein einfaches Beispiel: Es finden zwar in einem Staat freie, geheime Wahlen für ein Parlament statt, die gewählten Parteien beherrschen den Staat aber anschließend bis zur nächsten Wahl uneingeschränkt, weil es keine ausreichende Gewaltenteilung gibt, und bis zur nächsten Wahl keine Kontrollmöglichkeit durch die Bürger wie z.B. Volksentscheide. Obwohl Wolfgang Merkels Buch schon 2003 erschienen ist, hat sich der Zustand der Demokratie in der BRD seither nicht verbessert, sondern weiter in Richtung einer totalitären Demokratie verschlechtert. Im Rahmen der Corona-Hysterie wurden sogar mehrfach Artikel des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt, die bisher „Ewigkeitscharakter“ hatten. Als Beispiel für ein falsches Verständnis von Demokratie hier noch ein bekanntes Zitat des Ex-Präsidenten der EU-Kommission J.-C. Juncker:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Ein markantes Beispiel für eine defekte Demokratie ist die später beschriebene totalitäre Demokratie: Eine diktatorische Form der Herrschaft auf der Basis einer oder mehrerer Ideologien, die im Unterschied zu einer autoritären Herrschaft alle von der Ideologie betroffenen sozialen Verhältnisse zu ändern versucht, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ zu formen.

Ein Beispiel für das Ergebnis der jahrzehntelangen Dominanz des Neokommunismus in den etablierten Parteien und den Leitmedien der BRD sind die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021: Fast 80 % der Wähler haben ihre Stimme den Parteien gegeben (CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke), die mehr oder weniger offensichtlich die politisch korrekten Ideologien der BRD vertreten. Unklar bleibt, wofür sich die 23 % Nichtwähler als Wähler entschieden hätten.

Ein wichtiger Aspekt betrifft die Art, wie der Staat mit seinen Bürgern umgeht: Behandelt er sie als mündig und versucht sie zu bestärken und zu ertüchtigen, oder behandelt er sie wie unmündige, inkompetente Untertanen, die er am besten unmittelbar nach der Geburt in seine (ideologisch motivierte) Fürsorge übernimmt? Dieser Aspekt ist besonders wichtig, weil er zu einer nachhaltig wirkenden Rückkopplung führt:

So wie man die Bürger behandelt, so werden sie im Laufe der Zeit.

Deshalb ist auch der bekannte Aphorismus von Konrad Adenauer („Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.“) nur als „Schnappschuss“ zutreffend: Er gilt nur für die jeweils aktuelle Situation. Wenn sich aber die sozialen Verhältnisse ändern, ändern sich auch die davon betroffenen Menschen.

„In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Demokratie (Anm. der BRD) in einer beispiellosen Weise ausgehöhlt. Demokratie wurde durch die Illusion von Demokratie ersetzt, die freie öffentliche Debatte durch ein Meinungs- und Empörungsmanagement (Anm. in einem stark eingeschränkten Debattenraum), das Leitideal des mündigen Bürgers durch das des politisch apathischen Konsumenten. Wahlen spielen mittlerweile für grundlegende politische Fragen praktisch keine Rolle mehr“, so Rainer Mausfeld im Jahr 2018. Viele Parteien wie die CDU/CSU, die SPD und die FDP haben keinen eigenen sachlich-inhaltlichen Kern mehr, sondern dienen nur noch dazu, ihre Spitzenkandidaten an die Macht zu bringen, indem sie die aktuellen Ideologien unterstützen.

Wie konnte es soweit kommen? Das Grundgesetz der BRD gilt seit 1949, in guten ordoliberalen wie in weniger guten neoliberal/sozialromantischen Zeiten. Es hängt offenbar von den jeweiligen Mächtigen der Politik und vom Bundesverfassungsgericht ab, wie das Grundgesetz angewandt wird.

Die Selbstermächtigung der Parteien

Die Parteien heutiger Prägung haben sich in der BRD zum Grundübel der Demokratie entwickelt. Sie haben sich den Staat sukzessive einverleibt und ihren Einfluss immer weiter ausgedehnt.

Die Basis dafür liefert das 1967 verabschiedete „Gesetz über die politischen Parteien“ (Parteiengesetz), das danach immer neue Erweiterungen und Ergänzungen erfahren hat. Bis dahin hatte Art. 21 des Grundgesetzes verhindert, dass sich der Parteienstaat verselbständigen konnte, indem er den Parteien lediglich eine „Mitwirkung bei der Willensbildung des Volkes“ zubilligte. Beim Parteiengesetz kommt ein Grundübel unserer Demokratie zum Tragen:

Die Abgeordneten entscheiden auch über die Gesetze, die sie selbst als Abgeordnete betreffen.

Die Gesetze müssen zwar zum Teil noch vom Bundesrat bestätigt und vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden; das ist in Fragen der Befugnisse und Mittelflüsse, die die Parteien betreffen, allerdings ein Selbstläufer, weil auch im Bundesrat die Parteien darüber abstimmen.

Mit dem Parteiengesetz dürfen Parteien „insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen“ (§1 Abs. 2 PartG).

Mit diesem Dammbruch hat der Parteienstaat nach und nach die Kontrolle über sämtliche Verfassungsorgane und alle relevanten Gremien übernommen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Parteienfinanzierung, die immer großzügiger ausgestaltet worden ist, gefolgt von der Bezahlung der Abgeordneten, die inzwischen im Bundestag mehr als 10.000 Euro monatlich als sogenannte Diäten einstreichen. Daneben fließen umfangreiche Steuermittel an die Parteienstiftungen, die zwar unabhängig von den Parteien wirken sollen, dies aber eben nicht tun. Insgesamt fließen auf diese Weise rund eine Milliarde Euro pro Jahr aus dem Topf der Steuerzahler an den Parteienstaat, Tendenz steigend. Die Parteien und ihre Abgeordneten haben sich dadurch finanziell und personell von der restlichen Gesellschaft abgekoppelt.

Zwar schmerzen Verluste der Wählerstimmen, wie zuletzt für die CDU bei der Bundestagswahl, und auch der Verlust von Regierungsposten, doch sind dies nur Episoden auf dem immer weiter beschrittenen Weg, sich von den „Launen“ der Wähler unabhängig zu machen. Zudem muss heute nicht mehr regieren, wer gesellschaftlich Einfluss nehmen will, weil die Parteien über die von ihnen eingesetzten Verfassungsrichter, über ihre Entscheider in den Fernsehräten und über eine Fülle von Lobbyisten in sogenannten Nichtregierungsorganisationen den Kurs der Politik zuweilen noch viel direkter und viel subtiler bestimmen können als in der Regierung.

Mit dem Parteiengesetz wurden in der BRD auch die Weichen in Richtung einer Parteienoligarchie gestellt, einer Staatsform, in der eine kleine elitäre Gruppe die politische Herrschaft ausübt. Zusammen mit den ab 1968 aufkommenden links-grünen Ideologien, die sich fundamentalistisch mit dem Staat verbunden haben, und der Verteufelung von oppositionellen Parteien wie der AfD konnte sich daraus die gegenwärtige totalitäre Demokratie der BRD entwickeln.

Die etablierten Parteien der BRD haben sich als Wirtschaftsunternehmen zur Beschäftigung der Berufspolitiker verselbständigt und agieren als parteiübergreifende „Seilschaft“. Damit die Bürger das nicht merken, werden sie mit Angst und Hysterie konditioniert. Ihre demokratische Rolle als Auftragnehmer der Bürger haben die Parteien schon lange aufgegeben.

Auch für die negativen Folgen der Berufspolitik trifft die Feststellung von Roland Baader (2015) zur politischen Kaste zu: „Wenn man nur wüsste, was man machen kann, damit sie nichts mehr macht.“ Wir hätten eine Antwort dazu: Die Kaste der Berufspolitiker abschaffen. Das „laufende Geschäft“ erledigen sowieso die Staatssekretäre und andere Beamte. Und die wenigen Projekte für Reformen zur „Weiterentwicklung“ des Staates oder der Gesellschaft müssen von ihren Initiatoren und Betroffenen vorbereitet, vom Bundesaufsichtsrat des Staates im Hinblick auf die Starke Verfassung überprüft und in einer direkten Volksabstimmung entschieden werden.

Im Übrigen arbeiten auch die Massenmedien im Sinne Baaders als „Fortsetzungsapparate“: „Sie senden, drucken und berichten immer so, dass weiterhin derartige Operationen folgen müssen und sichern so ihre Auflage. (...) Dabei geht es nie um die Darstellung der Welt, wie sie ist.“ (Niklas Luhmann 2009)

Die Lösung kann daher nur darin liegen, die Macht der Parteien und der Leitmedien konsequent zu beschneiden und die Kaste der Berufspolitiker abzuschaffen.

Die wenigen wirklich notwendigen legislativen Aufgaben können und sollten durch erfahrene und dafür geeignete Bürger „in Teilzeit“ durchgeführt werden wie in der Schweiz. Diese können sich bei speziellen Fragen durch andere Fachleute beraten lassen oder erprobte Gesetze aus anderen Ländern übernehmen. Auch die Berufspolitiker kaufen ja ihr Wissen oder ganze Gesetzentwürfe von (oft anglo-amerikanischen) Beraterfirmen.

Das Beispiel der Schweiz zeigt aber auch, dass selbst eine gut konstruierte pluralistische Demokratie von den links-grünen Ideologien unterwandert werden kann, ausgehend von großen Städten wie Zürich und Bern. Die offensichtliche Ursache dafür sind die ideologische Propaganda des Fernsehens und der Leitmedien, die auch in der wohlhabenden Schweiz eine vergleichbare Wirkung auf die Großstädter haben wie in der wohlhabenden BRD und der wohlhabenden USA. Um das zu verhindern, muss die Herrschaft der Ideologien beendet werden.

Ein erster Schritt gegen die Parteienherrschaft muss deshalb die radikale Kürzung der Zuwendungen an die Parteien aus Steuermitteln sein, und ein Verbot der Parteienfinanzierung durch Lobbys. Parteien und ihre Stiftungen dürfen sich ausschließlich über Beiträge und neutrale Spenden finanzieren. Letztere sind unabhängig von ihrer Größe und einschließlich des Spenders in einem für jedermann zugänglichen Online-Register umgehend offenzulegen.

Parade-Beispiele für korrupte Selbstbegünstigung sind, dass die Bundestagsabgeordneten ihre Diäten und Renten selbst bestimmen, sowie ihre jahrzehntelange Weigerung, den Mechanismus der Ausgleichs- und Überhangmandate zu reformieren: Erhält eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese als Überhangmandate behalten, die anderen Parteien erhalten dafür Ausgleichsmandate. Bis zur Wahl 2021 waren es 709 Abgeordnete im Bundestag, 111 davon durch Überhang- und Ausgleichsmandate. Abhängig vom Wahlausgang könnten es zu bis zu 1.000 Abgeordnete sein, statt der im Grundgesetz vorgesehenen 598 Abgeordneten. Der offizielle Grund für diese Eskalation ist übertriebenes Proporzdenken. Dahinter steht aber unausgesprochen der Wunsch nach möglichst vielen „Futtertrögen“ für die Berufspolitiker.

Es gibt mehrere Vorschläge zur Lösung dieses Problems:

▬ Nur noch so viele Abgeordnete pro Wahlkreis ins Parlament entsenden, wie es dem jeweiligen Zweitstimmenanteil der Parteien entspricht. Überhangs- und Ausgleichsmandate gibt es dann nicht mehr. Es kämen die 299 Sieger der Wahlkreise in den Bundestag und zusätzlich eine insgesamt gleich große Zahl an weiteren Abgeordneten.

▬ Besetzung der Mandate gemäß der Zweitstimme zu gleichen Teilen aus den Wahlkreisen und von den Kandidatenlisten der Bundesländer.

Jahrelange Bemühungen um eine entsprechende Reform, beispielsweise von Wolfgang Schäuble, waren bisher erfolglos. Der Bundestag hat seit 2021 stolze 736 statt 598 Abgeordnete.

Merke: Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen.

Aufgrund der umfangreichen Abgabe von Zuständigkeiten und Aufgaben der BRD an die EU wäre eine erhebliche Verkleinerung des Parlaments erforderlich, auf etwa 20 % der bisherigen Abgeordneten (Willi Wimmer 2018). Dafür wäre beispielweise eine erhebliche Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise sinnvoll. Hinzu kommt, dass die Regierung immer mehr für Gesetzesvorlagen und Beratungskosten außerhalb staatlicher Strukturen bezahlt (z.B. 2017 ca. 100 Millionen Euro). In Berlin haben die Ministerien offenbar die gesetzgeberischen Kompetenzen nicht mehr, und die Parteien sind im Vergleich zu ihrer früheren Rolle in Bonn „... leere Hüllen, die nach Bedarf zur Akklamation genutzt werden“ (Willi Wimmer 2018).

Um die Politik als Beruf weniger attraktiv zu machen, dürfen Abgeordnete des Bundestags und der Landtage für ihre politische Tätigkeit nur eine Aufwandspauschale erhalten, die ihrem Durchschnittseinkommen der letzten fünf Jahre entspricht.

Jeder Kandidat für eine Aufgabe in der Politik muss sich aufgrund objektiv nachgewiesener Kompetenz und mindestens fünfjähriger Berufserfahrung in einem wertschöpfenden Beruf mit objektivierbar positiven Ergebnissen qualifizieren.

Auch die Direktwahl des Bundespräsidenten und eine Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse „von oben nach unten“ müssen mit den vorgenannten Reformen einhergehen. Ziel muss die größtmögliche Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips sein. Besonders wichtig ist das Haftungsprinzip für Politiker analog der Haftung des Vorstands nach §93 des Aktiengesetzes, wie es gemäß §839 BGB für Beamte gilt und dem Sinn nach im Kommunalrecht verankert ist.

Der Abstieg in die Ochlokratie

Parlamentarier haben heute vor allem die Aufgabe, ihrer Partei den Zugang zu den politischen Machtzentren zu sichern, die unerlässlich dafür sind, dem eigenen Parteibetrieb eine breite Präsentationsfläche zu sichern und den Mitgliedern die Aussicht auf möglichst viele lukrative Posten. Wo niemand mehr gestalten will, bedarf es auch keiner politischen Grundsätze mehr. In ihre Führungsapparate haben die Parteien das zur Beliebigkeit passende Personal befördert. Intellektuelle Schlichtheit und fachliche Inkompetenz sind da keine Ausschlusskriterien mehr. Damit sind wir in der Ochlokratie angekommen, der „Pöbelherrschaft“, in die Demokratien münden, wenn die Ungeeignetsten regieren.

Der „Pöbel“ unserer Zeit setzt seine politischen Forderungen per Stigmatisierung, Einschüchterung und Dogmatisierung durch, notfalls auch mit Gewalt. Die Demokratie interessiert ihn nur insofern, als er sie für die Verwirklichung seiner ideologischen Ziele benötigt. In der BRD hat er dies über seine Interessenvertreter in den Parlamenten und den staatlichen Institutionen bereits erreicht.

Wo in einer immer unübersichtlicheren Welt Führungspersönlichkeiten und Fachleute dringender denn je gebraucht würden, verhelfen die Ideologen jenen Parteien zum Erfolg, deren unzureichend gebildetes und wenig kompetentes Personal eine möglichst minimale Beschäftigung mit Sachfragen verspricht. Denn Klugheit und Wissen sind die Feinde jeder Ideologie. Über ihre mittelmäßigen Marionetten in den politischen Gremien sichern sich die Ideologen eine immer üppiger fließende staatliche Alimentierung. Sie gewinnen auf diese Weise an Einfluss und ziehen immer neue Kreise an, die darauf hoffen, ebenfalls Einfluss zu gewinnen und mitzuverdienen.

Dieser „Bewegung“ haben sich inzwischen weite Teile der Wissenschaft angeschlossen oder anschließen müssen, aber vor allem viele Kulturschaffende und die große Mehrheit der Medienvertreter. Sie alle leben davon, dass der Staat eine bestimmte politische Haltung unterstützt und jeden belohnt, der ihr zur Geltung verhilft. Mit ihrer Autorität und Popularität verleihen Wissenschaftler und Künstler dem ochlokratischen Regime eine Öffentlichkeitswirkung, gegen die sich die Vernunft schwertut.

Die fehlende Gewaltenteilung der BRD

Die Gewaltenteilung wird stets als wesentliche Errungenschaft der Demokratie gepriesen: Gesetzgebung (Legislative), Gesetzesausführung (Exekutive) und Gerichtsbarkeit (Judikative) sind auf drei verschiedene, voneinander unabhängige Staatsorgane aufgeteilt, nämlich das Parlament, die Regierung und die Justiz. In der BRD sind weder Exekutive und Legislative unabhängig voneinander, noch Exekutive und Judikative, denn die Richter sind dem Justizministerium unterstellt. Die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt dazu 2011 etwas verschämt: „In modernen parlamentarischen Demokratien, wie z.B. auch in der BRD, besteht die klassische Form der Gewaltenteilung nur noch in abgewandelter Form.“

In der BRD gibt es die Gewaltenteilung aber nicht mal auf dem Papier. Sie ist auf den guten Willen der jeweiligen Regierenden angewiesen. Als Gegenspieler und Kontrolleur der Regierung gibt es statt des Parlaments als Ganzem nur die Opposition. Die kann aber aufgrund des Kanzlersystems der BRD (siehe Kap. 15) im Parlament nur Reden halten oder hoffen, dass ihre Forderungen aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen von einer regierenden Partei übernommen werden.

Beim Kanzlersystem der BRD bestimmt der Bundeskanzler mit den Mehrheitsparteien die Politik in einer Weise, auf die die Bürger bei den Wahlen und in den vier Jahren danach keinen Einfluss mehr haben.

Als föderale Gewaltenteilung war die Mitbestimmung der Bundesländer geplant; sie sind aber nur am „Abnicken“ der Gesetze beteiligt und bei der Wahl des Bundespräsidenten. Die Hoheit der Länder beschränkt sich im Wesentlichen auf Kultur und Bildung, was andererseits große Nachteile für die Freizügigkeit der Lehrer innerhalb der BRD hat und zu einem sinkenden Niveau der Ausbildung in vielen rot-grün regierten Bundesländern geführt hat.

Wie steht es um das Bundesverfassungsgericht? Es soll das Grundgesetz schützen. Das Verfassungsgericht hat aber immer wieder massive Verstöße des Staates gegen das Grundgesetz nicht geahndet, bspw. das Parteiengesetz, die Beteiligung an Angriffskriegen der NATO wie gegen Afghanistan, die Beugung des Asylrechts und die unzulässige Staatsfinanzierung durch die EZB. Die eigentliche Frage ist also:

Wer schützt das Grundgesetz und damit den deutschen Staat vor der Dominanz der Parteien im Verfassungsgericht?

Die Richter des Verfassungsgerichts werden jeweils mit Zweidrittelmehrheit zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt, also stets und ausschließlich von den Parteien. Dadurch werden naturgemäß die Vorstellungen der (regierenden) Parteien dort abgebildet. Durch die jahrelange Dominanz der beiden Blöcke Union und SPD, die sich in mehr als der Hälfte der Zeit seit der Jahrtausendwende als „Große Koalition“ zusammenschlossen, war immer sichergestellt, dass das Bundesverfassungsgericht mehrheitlich regierungskonform besetzt ist. Dies gilt angesichts der langen Amtszeit der Richter (zwölf Jahre) auch dann, wenn längst Koalitionen von Parteien regieren, die zuvor in der Opposition waren bzw. aufgrund ihrer eigenen Fraktionsstärke im Parlament wenig Einfluss hatten. Berufserfahrung spielt dabei offenbar eine untergeordnete Rolle, denn es wurden schon Personen berufen, die nicht einmal drei Jahre Praxis als Richter vorweisen konnten. Um diesen Missständen abzuhelfen, wäre es erforderlich, dass die Verfassungsrichter von parteiunabhängigen Gremien berufen und nach geeigneten Kriterien für ihre verantwortungsvolle Aufgabe ausgewählt werden.

Noch ein Beispiel zur fehlenden Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts: Am 30. Juni 2021 hat Kanzlerin Merkel die Richter des Verfassungsgerichts ins Kanzleramt eingeladen, einschließlich der Verfassungsrichterin Doris König (SPD, Vorsitzende des Zweiten Senats), die mit ihren Senatskollegen am 21. Juli 2021 über die Klage der AfD gegen Frau Merkel entscheiden sollte, ob deren Forderung nach der Landtagswahl in Thüringen im Februar 2020, die demokratische Wahl des Ministerpräsidenten Kemmerich rückgängig zu machen, Recht verletzt hat.

Wer als Kanzlerin angesichts eines schwebenden Verfahrens gegen sich selbst jene Richter auf Staatskosten zum Abendessen zu sich einlädt, die drei Wochen später ein neutrales Urteil fällen sollen, handelt mindestens instinktlos, wenn nicht sogar korrupt. Dass die Richter der Einladung folgten, lässt auch sie in einem unguten Licht erscheinen. Auch die Begründung, dass der Besuch im Bundeskanzleramt eine seit vielen Jahren bestehende Tradition sei, ist ein Indiz für die gewohnheitsmäßige Verflechtung der Gewalten und nicht für ihre Unabhängigkeit.

Die Gewaltenteilung in der BRD wird außerdem unterwandert und zunichte gemacht durch den Einfluss der politischen Parteien in anderen wichtigen gesellschaftlichen Gremien wie dem Rundfunk- und Fernsehrat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Eine unabhängige Vierte Gewalt zur Kontrolle der Regierenden, die in der BRD wegen der Parteiendiktatur dringend notwendig wäre, gibt es nicht. Die Medien, die diese Rolle zu übernehmen hätten, sind zu Sprachrohren der Regierungspropaganda geworden, statt Desinformation, Korruption und Staatsversagen offenzulegen und anzuprangern. Die Vierte Gewalt ist zur „Fünften Kolonne“ geworden. Für eine wirksame Gewaltenteilung sind deshalb Befangenheitsregeln für die Mitglieder politischer Parteien in allen öffentlichen Einrichtungen außerhalb der Parlamente nötig, vor allem beim ÖRR und in den Leitmedien.

Ein weiteres gravierendes Defizit ist die „postfaktische“ Unterdrückung bzw. Manipulation von wichtigen Kennzahlen, die die Motivation und das Ergebnis des Regierens empirisch überprüfbar machen sollten, wie etwa die Inflationsrate, die Arbeitslosenquote, die Ergebnisse von Umfragen als Rückkopplung der Meinung der Bürger, die Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge, das Ausmaß der Kriminalität und ihre Verursacher, die Kennzahlen der SARS-CoV-2 Epidemie sowie des Klimawandels durch CO₂ und die Ergebnisse von Schulreformen. Wie beim Populismus gehen auch hier die regierenden Parteien und der Staat selbst mit einem sehr schlechten Beispiel voran. Die gesinnungsethische Begründung dafür lautet regelmäßig: Die wirklichen Zahlen könnten missbraucht oder missverstanden werden. Wer gut und erfolgreich regiert, benötigt diese Ausrede nicht.

Besonders die Partei der Grünen treibt diese Entwicklung voran. Sie hat sich zu einer Partei der Intoleranz und des puren Fanatismus entwickelt, nicht nur in Umweltfragen, sondern auch bei der Migration, dem Gesundheitstotalitarismus, dem Quotenwahn und dem Genderismus. Selbst die Verschärfung und Verlängerung des Ukrainekriegs, der wie jeder Krieg ein GAU der Umweltverschmutzung und des Menschenmordes ist, wird fanatisch unterstützt, ohne Rücksicht auf dessen antirussische Vorgeschichte. Bei ihren Themen schwingen die Grünen regelmäßig die Keulen des Weltuntergangs und der Zukunftsangst und missbrauchen die Emotionen der Bürger. Die Vernunft bleibt auf der Strecke.

Da die Grünen in der BRD nur von etwa 10 % der Wahlberechtigten gewählt werden, erkennt man, was eine fanatische Minderheit in einer Gesinnungsdiktatur anrichten kann.

Zur Rolle der Parteien

Das Berufspolitikertum und das Wahlsystem der BRD haben dazu geführt, dass die Abgeordneten von den Partei- und Fraktionsspitzen durch die Vergabe guter Listenplätze und lukrativer Ämter „bestochen“ und dadurch von ihren verfassungsmäßig vorgeschriebenen Gewissensentscheidungen abgehalten werden. Dieser Fraktionszwang führt nicht zu pluralistischer demokratischer Vielfalt, sondern zu einem erzwungenen Herdenverhalten. Außerdem werden wichtige Entscheidungen von strategischer Bedeutung wie die zu den immensen Krediten zur Stützung des Euros und der von Insolvenz bedrohten Banken, der massenhaften illegalen Einwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen und den Kriegseinsätzen der NATO ohne Referendum und ohne angemessene Analyse und Abstimmung im Bundestag getroffen, oder einfach von der EU oder der UN übernommen.

Ganz schlecht ist es auch um die Präsenz der Abgeordneten in den deutschen Parlamenten bestellt. Als Begründung werden stets die vielen parallel tagenden Ausschüsse angeführt. Was die notwendige Sachlichkeit der Debatte angeht, macht sich ausgesprochen negativ das offensichtlich fehlende Verständnis vieler Abgeordneter für das Thema bemerkbar. Dies wird nicht selten durch pöbelhafte Reden zu kaschieren versucht. Ein derartiges Verhalten sollte nach einmaliger Abmahnung zum Ausschluss aus dem Parlament führen. Parlamentarier und Regierende dürfen nicht Machthaber sein, sondern müssen sachlich argumentieren und sich vorbildlich verhalten. Sie vertreten die Bürger und den Staat. Ausreden wie „Politik ist die Kunst des Möglichen“ oder „Politik verdirbt den Charakter“ sind populistisch verbrämte Eingeständnisse von mangelnder Kompetenz und übertriebenem Machtstreben. Die Versuchung zum Missbrauch der Macht ist stets viel größer als die zu ihrer weisen Anwendung.

Fazit: „Der Bundestag hat sich verselbständigt. Nur noch die Interessen der Parteien und das Machtkalkül ihrer Fraktionen entscheiden heute darüber, was wann wie beschlossen wird. Waren die Parteien einmal mit dem verfassungsmäßigen Auftrag zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes betraut, so fühlen sie sich heute nur noch der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen verpflichtet.“ (Ramin Peymani 2018)

Alle Verfassungen der Länder sowie das Grundgesetz bestimmen explizit, dass jeder Abgeordnete unabhängig entscheiden und dabei nur seinem Gewissen unterworfen sein darf. Ein Fraktionszwang ist also verfassungswidrig. Ebenso ist es nicht im Sinne der Verfassung, Abgeordnete zu einer von der Parteiführung gewünschten Abgabe der Stimme zu nötigen, mit direkter Androhung von Nachteilen oder auch nur mit dem unausgesprochenen Wissen, beim nächsten Mal keinem guten Listenplatz mehr zu bekommen.

Aus der gegenwärtigen Sackgasse der Parteienherrschaft kommt die BRD ohne eine grundlegende Wahlrechtsreform nicht heraus. Die Reform würde jedoch eine qualifizierte Mehrheit der Bundestagsageordneten erfordern, und da „beißt sich der Hund in den Schwanz“. Für Reformen dieser Art wäre eine Art völlig parteiunabhängiger „Aufsichtsrat“ des Staates notwendig (siehe Kap. 15).

Veränderungen dieser Art können in der aktuellen Situation sonst nur von innen aus dem Bundestag heraus erfolgen, wenn Abgeordnete den Klageweg beschreiten, wie dies in der Vergangenheit vereinzelt geschehen ist. Das würde allerdings viel mehr Klagende und mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfordern. Das Beispiel der Verschleppung des simplen Themas Überhangmandate über viele Legislaturperioden hinweg zeigt, wie aussichtslos die Sache ist.

Defekte der Demokratie in der BRD

Das Konzept der defekten Demokratie ist ein Instrumentarium des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel (2012), um bestehende Staaten empirisch zu klassifizieren. Defekte Demokratien sind „...Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind.“ Nach dieser Klassifikation hat die Demokratie der BRD aus unserer Sicht folgende schwerwiegende Defekte:

a) In Bezug auf das Wahlregime („eine notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung für demokratisches Regieren“) und die vertikale Dimension der Demokratie:

▬ Die öffentliche Meinung ist wegen der von Ideologien dominierten Leitmedien, der Zensur und der Cancel Culture keine eigenständige politische Handlungssphäre, in der sich organisatorische und kommunikative Macht entfalten kann.

▬ Die Wahl der Abgeordneten wird durch die Parteien und das Listenwahlrecht stark manipuliert.

▬ Das Grundgesetz wird, wenn politisch opportun, durch die etablierten Parteien und das von ihnen beherrschte Bundesverfassungsgericht einseitig ausgelegt, verändert oder durch Gesetze mit Verfassungsrang unterlaufen. Das betrifft selbst die Artikel 1 – 12, die eigentlich „Ewigkeitscharakter“ besitzen.

▬ Die AfD als einzige echte Opposition wird durch populistische Verunglimpfungen weitgehend von der offenen pluralistischen Konkurrenz der Parteien ausgeschlossen.

b) In Bezug auf die politischen Partizipationsrechte:

▬ Die Verbreitung und der Empfang von Informationen und Nachrichten unterliegen sowohl in den Leitmedien als auch im Internet und seinen Kommunikationsplattformen (Facebook, Twitter, YouTube u.a.) schwerwiegenden politisch motivierten Restriktionen (Zensur, Cancel Culture und Kontaktsperren).

▬ Die Gewissensentscheidungen der Abgeordneten werden verfälscht, weil sie von ihrem Mandat beruflich abhängig sind, sowie durch den Fraktionszwang und den Einfluss von Lobbyisten.

c) In Bezug auf die bürgerlichen Freiheitsrechte:

▬ Die Meinungs- und Redefreiheit und das Demonstrationsrecht werden immer mehr eingeschränkt.

▬ Mit der Corona-Epidemie wurden weitere bürgerliche Rechte stark beschränkt.

d) In Bezug auf die Gewaltenteilung und horizontale Verantwortlichkeit:

▬ Die Gewaltenkontrolle im Sinne einer ausbalancierten wechselseitigen Interdependenz und Autonomie von Legislative, Exekutive und Judikative ist nicht gewährleistet.

▬ Die politischen Parteien haben sich alle wichtigen öffentlichen Institutionen der Gesellschaft vom Bundesverfassungsgericht bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk untertan gemacht.

e) In Bezug auf die Garantie, dass die effektive Regierungsgewalt den gewählten Repräsentanten obliegt:

▬ Die gewählten Repräsentanten und die Regierung der BRD richten ihre Entscheidungen an den strategischen, personellen und ideologischen Interessen der USA, der NATO und der EU aus, aber auch an NGOs, dem Weltwirtschaftsforum, dem Council on Foreign Relations und seinen Ablegern wie den Bilderbergern und der Atlantik-Brücke sowie global agierenden Großkonzernen.

Es wird kritisiert, dass Wolfgang Merkels Konzept zu anspruchsvoll sei, weil es danach selbst im Westen keine Staaten mit vollständig funktionierender Demokratie gibt. Deshalb müssen alle Demokratien als „defekt“ eingestuft werden (Michael Krennerich 2005). Da aber auch wir deutlich anspruchsvollere Vorstellungen von einem gut funktionierenden Staat haben als Wolfgang Merkel, ist diese Kritik aus unserer Sicht nicht berechtigt.

„Es ist also die wechselseitige Einbettung der einzelnen Institutionen der Demokratie in ein Gesamtgeflecht institutioneller Teilregimes, die die Demokratie funktions- und widerstandsfähig macht. (…) Sozialstaat, Fairness der Verteilung wirtschaftlicher Güter oder gar Soziale Gerechtigkeit mögen wünschbare Politikergebnisse demokratischer Entscheidungsprozesse sein, konstitutiv-definierende Elemente sind sie nicht.“ (Wolfgang Merkel 2003)

Zum Demokratie-Index

Es gibt eine Reihe von Ansätzen, den Stand der Demokratisierung der Staaten zu klassifizieren. Der bekannteste ist der Demokratieindex, der seit 2006 vom britischen Economist erhoben und veröffentlicht wird. Nach der Definition des Economist gilt für eine vollständige Demokratie: „Staaten, in denen bürgerliche Freiheiten und politische Grundfreiheiten nicht nur respektiert, sondern auch durch eine politische Kultur gestärkt werden, die dem Gedeihen demokratischer Prinzipien förderlich ist. Diese Staaten haben ein gültiges System staatlicher Kontrolle, eine unabhängige Justiz, deren Entscheidungen durchgesetzt werden, Regierungen, die angemessen funktionieren, sowie vielfältige und unabhängige Medien. Diese Staaten haben nur begrenzte Probleme mit dem demokratischen Funktionieren.“

Die Klassifizierung wird u.a. durch folgende Abfragen ermittelt:

Wahlprozess und Pluralismus: „Sind die Wahlen frei und gerecht?“

Funktionsweise der Regierung: „Bestimmen frei gewählte Abgeordnete über die Politik der Regierung?“

Politische Teilhabe: Anteil der Staatsbürger, die laut der Umfrage des World Health Survey Politik in den Medien (Radio, Fernsehen, Zeitungen) verfolgen.

Politische Kultur: „Gibt es einen ausreichenden gesellschaftlichen Konsens, der eine stabile und funktionierende Demokratie stützt?“

Bürgerrechte: „Wird vom Staat Folter angewandt?“

Die Definition und die Kriterien für eine vollständige Demokratie sind offensichtlich sehr anspruchslos, und die damit gewonnenen Ergebnisse deshalb irreführend. Die BRD lag aber selbst danach 2021 weltweit nur auf Platz 15, nach Platz 14 im Jahr davor. Die Schweiz belegt Platz 9, Großbritannien Platz 18 und die USA mit ihrer aggressiven Demokratie-Anmaßung nur Platz 26.

Zur begrenzten Anwendbarkeit des Demokratieprinzips

Die Analysen zeigen, dass die Demokratisierung und damit der theoretisch mögliche Einfluss der Bürger von der BRD über die EU zur UN immer mehr abnimmt: Die BRD hat sich aufgrund der von den Parteien außer Kraft gesetzten Gewaltenteilung zu einer totalitären Demokratie (eine einheitlich ideologisch kontrollierte Alleinherrschaft der regierenden Parteien) entwickelt, weil das „schwache“ Grundgesetz und das von den Parteien dominierte Bundesverfassungsgericht es möglich gemacht haben. In der EU gibt es zwar neben der Nomenklatura der EU-Kommission und der des Rates der EZB noch ein gewähltes Parlament, das aber nicht die Funktion einer Legislative hat. In der UN herrscht die Nomenklatura der Staatsabgesandten ohne jede demokratische Einflussmöglichkeit.

Deshalb nimmt von der BRD über die EU zur UN der potentielle Einfluss selbsternannter ideologischer „Eliten“ und ihre Macht zu, auch wenn sie nur eine verschwindende Minderheit der jeweiligen Bürger der Staaten repräsentieren. Das Demokratieprinzip ist den Ideologien gewichen.

Dafür sprechen z.B. folgende empirische Beobachtungen und missbräuchliche Anwendungen:

▬ Die kollektive Intelligenz funktioniert in der heutigen Demokratie nicht; siehe Kap. 5.

▬ Die Minderheiten der extremen Neoliberalen, der Investmentspekulanten und der Sozialromantiker der BRD können mit Hilfe der Propaganda des ÖRR und der Leitmedien die Mehrheit politisch kaltstellen.

▬ Es herrscht eine Dominanz der vielen Schuldnerstaaten in der EU über die wenigen Gläubigerstaaten.

▬ Es herrscht bei der Migration eine Dominanz der vielen Herkunftsstaaten über die wenigen Zielstaaten (unter deren tätiger Mithilfe).

In den meisten Fällen wären statt der Mehrheitsentscheidungen auf der Basis der Desinformation und des Populismus der Leitmedien qualifizierte Entscheidungen notwendig, die auf empirischer Basis nach wissenschaftlichen und systemtechnischen Methoden erarbeitet werden müssten.

Die Entscheider in der Gesellschaft sollten also nicht „Trittbrettfahrer“ sein wie die derzeitigen Politiker und Journalisten, sondern kompetente Stakeholder der Gesellschaft.

Früher konnte man die Regierungen noch wegen der Verschwendung der Steuereinnahmen abmahnen, heute haben sie zusätzlich zur politischen Macht noch beliebig viel FIAT-Geld (zinslose Kredite der Zentralbanken ohne Rückzahlverpflichtung) zur Verfügung, um ihre finanzielle Macht unbegrenzt für die ideologischen Ziele zu missbrauchen.

Die totalitäre Demokratie

Die totalitäre Demokratie (Jacob Talmon 2013, Wolfgang Merkel et al. 2003) ist eine diktatorische Form von Herrschaft auf der Basis einer Ideologie (oder auch mehrerer, wie gegenwärtig in vielen westlichen Demokratien), die im Unterschied zu einer autoritären Herrschaft alle von der Ideologie betroffenen sozialen Verhältnisse zu beeinflussen versucht, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ zu formen. Während eine autoritäre Diktatur nur den bestehenden Zustand aufrechtzuerhalten sucht, fordert eine totalitäre Diktatur von den Bürgern eine aktive Beteiligung an der ideologischen Transformation ihres Staates.

Typisch dafür ist die Unterwerfung vieler Bürger sowie die Diskriminierung und Benachteiligung derjenigen, die sich nicht unterwerfen.

Die totalitäre Demokratie unterscheidet sich von der totalitären Diktatur im Wesentlichen dadurch, dass die regierende Partei oder – wie in der DDR und der BRD – der Einheitsblock der regierenden Parteien durch Wahlen bestätigt wird. Die totalitäre Demokratie dominiert seit einiger Zeit – trotz gegenteiliger Selbstdarstellung – mehrere westliche Demokratien. Sie unterdrückt die pluralistische Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Bürger, die ein wesentlicher Erfolgsfaktor der persönlichen Entwicklung und der kulturellen Evolution sind, und macht das Herdenverhalten zur Pflicht. Die moderne totalitäre Demokratie ist eine Form der Diktatur, die die freiwillige oder aufgenötigte Zustimmung der Mehrheit der Bürger erfordert, damit die Herrschenden ins Amt kommen. Das wird durch eine perfide Propaganda der staatstragenden Medien und die Unterdrückung aller abweichenden Meinungen erreicht, siehe Kap. 9. Die eingeschränkte Meinungsfreiheit wird in einer totalitären Demokratie zur Diktatur der öffentlichen Meinung.

Um den „Gemeinwillen“ zu steuern, brauchen die Herrschenden eine weitgehende Kontrolle über das Eigentum und die Privatsphäre der Bürger.

In einem Essay über einen Verfassungsentwurf für Korsika hat schon Rousseau gefordert, dass das Eigentum des Staates so groß und mächtig und das der der Bürger so klein und schwach wie möglich sein sollte, damit die Bürger vom Staat abhängig und dadurch einfach lenkbar sind. In der Gesellschaft soll zwar ein jeder etwas besitzen, aber niemand zu viel.

Zu den Herrschenden der Gegenwart gehören neben den Regierenden auch die Plutokraten, die Großkonzerne sowie die superreichen Vermögensverwaltungen und Privatstiftungen, die mit ihren immensen Geldmitteln die Politik, die Realwirtschaft und die Medien massiv zugunsten ihrer Profite beeinflussen und lenken (siehe Kap. 13).

Es ist bemerkenswert, dass die totalitäre Demokratie als Begriff in der deutschen Wikipedia nicht vorkommt, und auch beim Eintrag „Totalitarismus“ und anderswo nicht erwähnt wird. Sehr wahrscheinlich ist der Eintrag bei einem „Edit War“ mit staatstragenden Wikipedia-Redaktionen verhindert worden, damit der Leser nicht auf die Ähnlichkeit mit real existierenden Verhältnissen aufmerksam gemacht wird. In der englischen Wikipedia wird er unter „Totalitarian Democracy“ ausführlich beschrieben. Das Fazit lautet: „... a term popularized by Israeli historian Jacob Talmon to refer to a system of government in which lawfully elected representatives maintain the integrity of a nation state whose citizens, while granted the right to vote, have little or no participation in the decision-making process of the government.”

Der Konflikt während der Aufklärung zwischen ihren säkularen Zielen und Rousseaus diktatorischem Gemeinwillen wurde zur „Blaupause“ aller späteren gesellschaftlichen Konflikte zwischen den ideologischen Zielen bestimmter „Eliten“ und ihrer mit Fanatismus verbundenen Gewalt bei der Durchsetzung gegen die Vernunft und den gesunden Menschenverstand, bis zu damit verbundenen „Säuberungen“ in Bürgerkriegen oder Kriegen.

„Es liegt in der Grundanlage demokratischer Systeme, dass sie sich selbst abschaffen, weil einzelne Gruppen zwar auf demokratischem Wege Macht anhäufen, diese aber anschließend zur Schleifung der Demokratie nutzen. Zudem befördert die Demokratie die Wahl wenig geeigneter Personen in die Parlamente und die führenden Staatsämter, weil die Wähler ideologischen Heilsversprechern den Vorzug gegenüber nüchtern argumentierenden Sachwaltern geben. Diesen unvermeidlichen Übergang demokratischer Regierungsformen in totalitäre Systeme kannten bereits die alten Griechen.“ (Ramin Peymani 2022)

In der BRD dominieren als Ideologien der EU-Zentralismus mit Transferunion und Schuldenorgie, die Klimahysterie samt sogenannter Energiewende, die Massenzuwanderung und die Corona-Hysterie den Staat, das Staatsfernsehen, die Leitmedien und damit die öffentliche Meinung. Der Staat greift im Auftrag internationaler NGOs und Großkonzerne auf totalitäre Weise massiv in das Leben der Bürger ein, setzt Grundrechte außer Kraft und versucht eine massive Änderung der Gesellschaft in Richtung Neokommunismus zu erzwingen, von der Ideologisierung über den Versorgungsstaat bis zur Transformation nach den Vorgaben des Great Reset.

Die DDR wurde gerne als Unrechtsstaat bezeichnet, im Gegensatz zum Rechtsstaat BRD. Vergleichbar dazu ist inzwischen auch die BRD zum Unrechtsstaat geworden, nur mit moderneren, weniger groben Methoden: Gummiknüppel statt Gewehre, Berufsverbot und soziale Diskriminierung statt Wegsperren, Internet- und Telefonüberwachung statt informeller Stasi-Mitarbeiter sowie Klima-, Corona- und Gender-Ideologien statt Kommunismus.

Die Parteien sind dafür gut aufgestellt, weil Angela Merkel während ihres 18-jährigen Parteivorsitzes und ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft die CDU nach dem Muster der Nationalen Front der DDR weitgehend an die ideologischen Ziele der links-grünen Parteien angepasst hat. Von dieser Gleichschaltung ist nur die AfD ausgenommen. Außerdem ist die Gewaltenteilung weitgehend außer Kraft gesetzt und die Legislative wie bei der EU weitgehend von der Exekutive entmachtet worden. Hinzu kommt, dass immer mehr Entscheidungen von der Exekutive der EU und supranationalen Organisationen wie der WHO oder der UN getroffen werden. Die Bundestagswahl hat deshalb de facto keinen nennenswerten Einfluss mehr auf die Regierungstätigkeit.

Die invertierte totalitäre Demokratie

Der Begriff der invertierten totalitären Demokratie stammt vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Sheldon Wolin (2008). Er bezeichnete damit die Regierungsform der USA als eine „von oben nach unten organisierte Demokratie“, die eigentlich eine Plutokratie ist. Den Unterschied zum klassischen Totalitarismus sieht er darin, dass diese postmoderne Form totaler Herrschaft auf eine weitreichende Entpolitisierung der Bevölkerung und auf „weiche“, verdeckte Unterdrückungsmechanismen setzt. Die totalitären Züge beschreibt er wie folgt:

▬ Die Plutokraten und der Staat streben nach unbegrenzter Macht und aggressiver Expansion wie etwa im System des Kommunismus und des Nationalsozialismus.

▬ „Invertiert“ ist dieses Streben insofern, als es nicht als Massenphänomen in Erscheinung tritt, sondern in der Schrankenlosigkeit des Handelns der Plutokraten und der Regierung.

▬ Während im Kommunismus und im Nationalsozialismus die Unternehmen der staatlichen Autorität untergeordnet waren, stehen heute die internationalen Großkonzerne über der Politik.

▬ Die Unternehmen erzeugen dabei eine vergleichbare Dynamik wie etwa das nationalsozialistische politische Lebensraumkonzept.

Die Nationalsozialisten haben die Massen in Bewegung gesetzt und ihnen ein Bewusstsein von Kraft und Freude vermittelt; der invertierte Totalitarismus hingegen will den Massen das Bewusstsein von Schwäche und Ersetzbarkeit vermitteln und damit eine „demobilisierte“ Gesellschaft von politisch Desinteressierten hervorbringen. Die Kennzeichen dafür sieht Wolin in folgenden Merkmalen des Staates und der Gesellschaft:

▬ einer schwachen Legislative,

▬ einem zugleich repressiven und die Regierung unterstützenden Rechtssystem,

▬ einem Parteiensystem, das die Reichen, die Großkonzerne und die Gutvernetzten begünstigt, die Armen in Hilflosigkeit und Verzweiflung zurücklässt und die Mittelklasse in der Balance zwischen Abstiegsangst und Aufstiegsversprechen hält,

▬ einer Übermacht monopolistischer, den Staat hofierender Medien,

▬ einer Herrschaftstreue der Universitäten und der Großkonzerne, sowie

▬ einer Propagandamaschine aus Think Tanks und Stiftungen.

DAS BUCH

Günter Dedié und Ramin Peymani: Zum Teufel mit den Ideologien! Für eine neue Aufklärung und eine andere Demokratie. Paperback, 236 Seiten. Verlag: Books on Demand (2022) Wir danken Herrn Günter Dedié herzlich für seine freundliche Genehmigung, diese Leseprobe auf unserer Seite veröffentlichen zu dürfen.

DIE AUTOREN

Günter Dedié ist promovierter Physiker und war in der Systementwicklung der IT-Bereiche von Siemens und Canon tätig. Er ist Wikipedia-Autor und Herausgeber der Internet-Seite Emergenz-Netzwerk. 2014 hat er das Buch Die Kraft der Naturgesetze veröffentlicht und 2019 das Buch Gesellschaft ohne Ideologie - eine Utopie? Darin werden Natur und Gesellschaft auf der Basis des ontologischen Naturalismus und der emergenten selbstorganisierten Prozesse beschrieben. Er ist Mitglied des Hayek-Clubs Salzburg und des Bürgerlich-Freiheitlichen Aufbruchs.
Ramin Peymani (* 1968) arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik für die Citibank, Goldman Sachs und den Deutschen Fußball-Bund, bevor es ihn in die Kommunalpolitik zog. Seit zehn Jahren betätigt er sich darüber hinaus publizistisch für eine Reihe bekannter Debattenmagazine und als Autor von inzwischen zehn Büchern. Seine wöchentliche Kolumne „Liberale Warte“ erfreut sich eines großen Leserkreises. Er ist Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft sowie der FDP und betrachtet die Vorgänge in Deutschland und Europa mit dem geschärften Blick eines Wahl-Londoners.

 

 

 

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