Joachim M. Keiler: Corona – uns ward der Sündenbock geboren
Die EU unter Merkel
Noch eine Bilanz
Joachim M. Keiler kommentiert einen aktuellen Kommentar der WELT „Deutsche Bilanz: Nach Angela Merkel werden wir eine andere EU erleben“.
Von Joachim M. Keiler. — Dresden, 25. Dezember 2020
Die Gewichtung hat sich mit dem Austritt der Briten verschoben. Merkel hat nichts „verhindert“. Die EZB bestimmt den Takt. Es gibt keine Südachse. Die Italiener stehen nicht an der Seite der Spanier. Frankreich hat seine ehemaligen Kolonien im Rucksack und ein massives Problem mit den afrikanischen Staaten unter seiner Kolonialherrschaft. Messieurs afriques sage ich da nur.
Merkel ist weit überschätzt, hat keinen Willen, die Führung in der EU zu übernehmen, obwohl die Deutschen zahlen. Sie hat Macron den Vortritt gelassen. Ich mag weder Merz noch Söder, aber schlimmer als unter Merkel wird es bei denen auch nicht. Die Grünen werden sich noch wundern, wie sie der Baum umarmende Söder gerade behummst. Söder ist ein reiner Machtpolitiker. Merz kann man schwer einschätzen. War zulange außerhalb öffentlicher Beobachtung. Und Laschet ? Kommentiere ich nicht.
Zitat aus dem Artikel: „Die Leerstelle Merkel führt zusammen mit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs mit Sicherheit auch dazu, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versuchen wird, zusammen mit den großen südeuropäischen EU-Staaten Italien und Spanien neue Ausgabenprogramme und eine Gemeinschaftshaftung voranzutreiben.“ Die Gemeinschaftshaftung ist erklärtes Ziel aller Freunde der Vereinigten Staaten von Europa. Nichts Neues. Will man diese, müssen zuerst die asymmetrischen Stimmquoten abgeschafft werden. Es kann nicht sein, dass im Rat Zwergenstaaten wie Luxemburg, Malta usw. gleiches Gewicht haben wie große Industriestaaten. Es kann nicht sein, dass Malta 60.000 Wählerstimmen für einen Sitz im Europäischen Parlament benötigt und Deutschland 830.000.
Der EU-Rahmen ist eine demokratische „Totgeburt“. Die, die aus einer european citizenship einen Auftrag zu einer neuen Verfassung ableiten wollen, können die nationalen Unterschiede nicht auflösen und das Subsidiaritätsprinzip sinnvoll gestalten. Eine völlig neue Verfassung auszuhandeln hat noch weniger Aussicht als die BREXIT-Verhandlungen. Diese sind ohnehin nur Kosmetik.
Und das „Beste zum Schluss“: wer aktuell eine neue Verfassung aushandeln wollte, bekäme nichts, was ansatzweise unserem Grundgesetz vergleichbar wäre. Das wäre ein Startschuss zur Plünderung Deutschlands und das Ende der EU. Und da habe ich mich zu der Frage, wer da mitspielen dürfte, noch gar nicht geäußert: die Euro-Länder, die EU-Mitglieder oder die europäischen Staaten der EMRK einschließlich Russland.
Unsere „Eliten“ haben uns in den Wald gewurschtelt; immerhin in den CO₂-neutralen. Und das ist nicht mehr schwer zu erkennen. Es war ein riesiger Unfug, aus einer Freihandelszone mit partiell eigener Währung einen Staatenbund ähnliches Gebilde basteln zu wollen. Die EU ist und bleibt nicht mehr als ein Verbund von Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichen Interessenlagen. Solange sich abzeichnende, gemeinsame Interessenlagen nicht erkannt werden, wie Schutz der Außengrenzen, schlagkräftige Verteidigung, strikter Föderalismus und Steuerharmonisierung ( letztere besonders für unsere Freunde in Luxemburg und den Niederlanden, aber auch Malta) ist eine europäische Verfassung eine Illusion ohne jede Chance auf Realisierung.
Das Verdienst von Trump war es, die Europäer darauf hinzuweisen, dass der amerikanische Militärschutz nicht ewig und für lau in Anspruch genommen werden kann. Völlig legitim zu fordern, Schutz ja, aber dann Gegenleistung. Will man keine Gegenleistung geben und sich zwischen den Blöcken durchlavieren, muss man den Schutz selbst organisieren. Merkel hat übrigens auch hier versagt. Sie hat die amerikanische Position so verstanden, dass man größtmöglich gegen Russland sein muss. Darum geht es schon lange nicht mehr. Trump warnt vor China. Und die EU hat dumpf Sanktionen gegen Russland verhängt, was zu einem Handelsabkommen Russland und China geführt hat.
Ich meine: alles besser als Merkel. Ich meine: das erkennt jetzt wirklich jeder Politik-Interessierte. Ich meine: die Erkenntnis wird nicht von innen kommen, sondern von außen. Wird nicht der ungebremste Zuzug beendet, haben wir nicht einmal die Gelegenheit, uns in diesen historisch bedeutsamen Fragen zu sortieren. So schnell wie sich derzeit politische Mehrheiten verändern, so schnell kann gar kein Politiker nachstellen. So schnell wie unsere sozialen Sicherheitssysteme aktuell entleert werden, so schnell können wir sie nicht fundiert auffüllen. Nur durch Kredite. Das ist Eislaufen auf einer Decke, ohne zu wissen, wie sie trägt. Bei schwachem Eis wird die Einbruchsgefahr umso höher je mehr sich auf das Eis begeben.
Derzeit flüchtet sich die „Verantwortungselite“ in ein besonderes Tätigkeitsfeld: Pandemiebekämpfung. Für die „Verantwortungselite“ ein Ventil. Man hat ja nicht versagt, sondern jetzt ist klar: die Corona-Krise war und ist der Grund allen Übels. Ein politischer Sündenbock ward geboren; und das auch noch zur Weihnachtszeit.
DER AUTOR
Dr. Joachim M. Keiler ist Mitglied des Vorstands des Hayek-Vereins Dresden.
DIE QUELLE
DIE WELT: Deutsche Bilanz: Nach Angela Merkel werden wir eine andere EU erleben. Von Christoph B. Schiltz