Michael Stöcker: SERIE (2) Über den Sinn und Zweck von Staatsschulden

— Foto: © Bildarchiv der Deutschen Bundesbank

Private Schulden müssen zurückgezahlt werden

Nachdem wir uns im ersten Teil angeschaut haben, welche Bedeutung Schulden für unser Geldsystem haben, werden wir heute die grundlegenden Unterschiede zwischen staatlichen und privaten Schulden erörtern.

Von Michael Stöcker. — Dresden, 18. Dezember 2020

Die durch Corona bedingten Sonderausgaben und Mindereinnahmen lassen das Haushaltsdefizit in diesem Jahr allein in Deutschland auf vorläufig 180 Mrd. EUR ansteigen. Viele Menschen machen sich hierüber große Sorgen und fragen sich, wo das noch enden soll. Die folgende Beitragsserie soll ein wenig Licht in die aktuelle Schulden-Debatte bringen und die Bedeutung von Staatsschulden aus der emotionalen Ecke herausholen und auf eine rationale makroökonomische Ebene heben. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Nichts/Wenig ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

■ Im ersten Teil dieser Beitragsserie ging es um den Begriff der Schuld und welche Bedeutung Schulden für unser Geldsystem haben.

■ In Teil zwei werden wir genauer auf den Unterschied zwischen staatlichen und privaten Schulden eingehen.

■ Im dritten Teil schauen wir uns dann an, wie es um die Verschuldungssituation in Deutschland sowie im Rest der Welt aktuell bestellt ist und welche Vorstellungen es zur maximalen Verschuldungshöhe gibt.

■ In Teil vier werden wir dann analysieren, welche Vorschläge zur Schuldenstabilisierung oder zur Schuldenreduktion welche Konsequenzen haben werden.

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Der größte Fehler, der im Kontext der Staatsschuldendebatte gemacht wird, ist die Analogie von Staatsschulden mit privaten Schulden. Es ist das berühmt-berüchtigte Denken in den Kategorien der Schwäbischen Hausfrau oder auch die mikroökonomische Sichtweise von Unternehmern, die aus der individuellen Perspektive ihres Unternehmens planen und daraus schlussfolgern, dass diese Regeln auch auf einen Staatshaushalt anzuwenden seien.

Anders als Staaten haben natürliche Personen aufgrund ihrer begrenzten Lebensspanne auch einen zeitlich begrenzten Planungshorizont. Dieser Sachverhalt wird bei allen Kreditarrangements berücksichtigt. So ist z. B. ein Immobiliendarlehen in der Regel so gestaltet, dass die Immobilie spätestens mit Eintritt ins Rentenalter schuldenfrei ist. Spätestens mit dem Tod werden durch den Erbfall noch fällige Schulden endgültig getilgt.

Staatliche Schulden ermöglichen individuelles Sparen

Anders als Privatpersonen oder auch Unternehmen, haben Staaten einen unendlichen Planungshorizont. Von daher müssen Schulden am Fälligkeitstag auch nicht zurückgezahlt werden, sondern werden in der Regel revolviert; das heißt, die alten Schulden werden einfach durch neue Schulden abgelöst. Das gilt auch für die Zinsen, die für diese Schulden zu zahlen sind. Sie werden am Fälligkeitstag einfach auf die alte Schuld aufgeschlagen. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied zu den privaten Schulden.

Die defizitfinanzierten Ausgaben des Staates ermöglichen zugleich den Sparern, ihre zinslosen Giroguthaben in ein ausfallsicheres verzinsliches Wertpapier umzuwandeln; und zwar entweder unmittelbar durch den Ankauf von Staatsanleihen oder aber mittelbar durch z. B. eine Kapitallebensversicherung oder auch eine Riesterrente.

Alle defizitfinanzierten Staatsausgaben werden wiederum zu Einnahmen der Haushalte und Unternehmen, die sich hierdurch reicher fühlen, da ihre Geldvermögen um exakt die gleiche Höhe gestiegen sind wie die Staatsschulden (gilt nur bei ausgeglichener Leistungsbilanz oder Leistungsbilanzüberschüssen; also insbesondere für Deutschland). Staatsschulden sind also ebenso das Pendant der privaten Geldersparnisse, wie es die Schulden der Unternehmen sind.

Staatliche Schulden sind eine Form von permanentem Geld

Da Staatsschulden in der Regel nicht zurückgezahlt werden, handelt es sich bei den korrespondierenden Geldvermögen um Geld, das permanent im Umlauf ist. Der andere Teil der Geldmenge ist von den privaten Kreditvereinbarungen mit den Geschäftsbanken abhängig (zur Erinnerung: Geldvermögen und Geldschulden sind zwei Seiten derselben Medaille).

Ein verzinsliches sicheres Sparen funktioniert allerdings nur dann, wenn der Staat auch verzinsliche Wertpapiere herausgibt. In Zeiten von Nullzinsen oder gar Negativzinsen verschwindet der Unterschied zwischen Geld und Staatsschulden immer mehr, da es für den einzelnen letztlich egal ist, ob er ein Anleihe mit 0,00 % Zinsen hält oder aber Bargeld, Giralgeld oder Tagesgeld mit 0,00 % (Zinsänderungsrisiken und somit Kursrisiken bei Staatsanleihen sollen hier nicht thematisiert werden).

Eine ganz besondere Form von Staatsschulden, die sich zu 0 % verzinsen sowie eine unendliche Laufzeit haben (=permanentes Geld), sind die United States Notes, die zum letzten Mal als 100 $-Note im Jahre 1971 vom US Finanzministerium in Umlauf gebracht wurden. Seitdem werden nur noch Federal Reserve Notes durch die Zentralbank herausgegeben, so dass eine zinsfreie Staatsfinanzierung grundsätzlich nicht mehr möglich ist. In Kanada ist eine ähnliche Form der Staatsfinanzierung hingegen bis heute üblich. Dort werden grundsätzlich 20 % aller neuen Staatsanleihen unmittelbar der Zentralbank zugeteilt, die sodann dem Finanzministerium den Betrag auf dem Regierungskonto gutschreibt.

Das klingt irgendwie nach MMT (Modern Monetary Theory). Und in der Tat, das ist es auch, was in Kanada bis heute passiert; zumindest in Bezug auf diese 20 % der Staatsschulden, die unmittelbar über die Zentralbank finanziert werden. Insofern ist die MMT auch weder modern, noch eine Theorie, sondern vielmehr eine Neuauflage des Geldschöpfungsdramas aus Goethes Faust II. Wir können allerdings auch noch weiter in die Geschichte zurückblicken, um zu sehen, dass MMT nichts anderes ist als alter Wein in neuen Schläuchen: In das Jahr 1024 der Song-Dynastie. Das Verdienst der MMT ist es von daher nicht, eine moderne Geldtheorie abgeliefert zu haben, sondern vielmehr an die zentrale Rolle des Staates im Geldwesen zu erinnern.

Geld ist staatlicher und privater Natur (monetärer Dualismus)

Insofern können wir festhalten, dass unser heutiges Geld sowohl staatlicher als auch privater Natur ist. Geld gibt es deshalb, weil es staatliche Schulden und private Schulden gibt. Im Gegensatz zu den privaten Schulden müssen aber staatliche Schulden nicht zurückgezahlt werden; sie müssen immer nur bedient werden. Und das geht immer, solange ein Staat in seiner eigenen Währung verschuldet ist und die Zentralbank mit der Regierung kooperiert. Oder um mit den Worten des wissenschaftlichen Dienstes des kanadischen Parlaments zu sprechen:

This means that external factors, such as financial markets dysfunction, cannot cause the federal government to run out of money. (Das bedeutet, dass externe Faktoren, wie etwa Funktionsstörungen der Finanzmärkte, nicht dazu führen können, dass der Regierung das Geld ausgeht.)

Insofern ist die kanadische Version der Staatsfinanzierung ein guter Kompromiss, um der dualistischen Natur unseres Geldsystems gerecht zu werden. Mit 20 % direkter Staatsfinanzierung durch die kanadische Notenbank werden die Forderungen der Vertreter der staatlichen Theorie des Geldes (aka MMT) zu einem Fünftel schon seit sehr vielen Jahren berücksichtigt, während die anderen 80 % über den privaten Kapitalmarkt zu finanzieren sind.

Dieses Verhältnis ist natürlich nicht in Stein gemeißelt, aber die kanadischen Erfahrungen zeigen, dass dies durchaus ein guter Kompromiss ist. Denn trotz monetärer Staatsfinanzierung in Höhe von 20 % ist die Inflation in Kanada nicht höher als in Euroland.


source: tradingeconomics.com

Im dritten Teil schauen wir uns dann an, wie es um die Verschuldungssituation in Deutschland sowie im Rest der Welt aktuell bestellt ist und welche Vorstellungen es zur maximalen Verschuldungshöhe gibt.

Lesen Sie hier den ersten Teil: Die Rolle der Schulden in unserem Geldsystem

DER AUTOR

Dipl.-Hdl. Michael Stöcker betreibt den Blog Zinsfehler.

 

 

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