Michael Stöcker: SERIE (4) Über den Sinn und Zweck von Staatsschulden

— Foto: © Bildarchiv der Deutschen Bundesbank

Suspendierung der Schuldenbremse

Im abschließenden Beitrag analysieren wir, welche Vorschläge zur Stabilisierung oder Reduktion der Schulden welche Konsequenzen haben werden.

Von Michael Stöcker. — Dresden, 26. Februar 2021

Die durch Corona bedingten Sonderausgaben und Mindereinnahmen lassen das Haushaltsdefizit in diesem Jahr (2020) allein in Deutschland auf vorläufig 180 Mrd. EUR ansteigen. Viele Menschen machen sich hierüber große Sorgen und fragen sich, wo das noch enden soll. Die folgende Beitragsserie soll ein wenig Licht in die aktuelle Schulden-Debatte bringen und die Bedeutung von Staatsschulden aus der emotionalen Ecke herausholen und auf eine rationale makroökonomische Ebene heben. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Nichts/Wenig ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

■ Im ersten Teil dieser Beitragsserie ging es um den Begriff der Schuld und welche Bedeutung Schulden für unser Geldsystem haben.

■ In Teil zwei sind wir genauer auf den Unterschied zwischen staatlichen und privaten Schulden eingegangen.

■ Im dritten Teil hatten wir gesehen, wie es um die Verschuldungssituation in Deutschland sowie im Rest der Welt aktuell bestellt ist und welche Vorstellungen es zur maximalen Verschuldungshöhe gibt.

■ In Teil vier analysieren wir, welche Vorschläge zur Schuldenstabilisierung oder zur Schuldenreduktion welche Konsequenzen haben werden.

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Nachdem wir uns im dritten Teil die Verschuldungssituation in Deutschland sowie im Rest der Welt angeschaut hatten, soll es heute um die Vorstellungen zur Schuldenreduktion gehen, die durch die coronabedingten Sonderausgaben eine völlig neue Aufmerksamkeit in der öffentlichen Diskussion erlangt haben. Insbesondere der Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun zur Suspendierung der Schuldenbremse im Handelsblatt hatte hier für viel Irritation gesorgt, die dazu führte, dass er schon nach wenigen Stunden widerrufen musste. Das zeigt einmal mehr, wie sehr dieses Thema emotionalisiert und eine vernünftige Debatte kaum möglich ist. Warum? Weil die Schuldenbremse nicht nur ein gemeinsames Projekt von CDU und SPD war (mehr dazu hier), sondern zugleich von vielen Ökonomen unterstützt wurde (zu den Unterschieden zwischen Schuldenbremse, Fiskalpakt, schwarzer Null sowie Maastricht hier eine Übersicht bei SPON). Als Reaktion auf den Vorstoß von Braun gab es dann einen längeren Beitrag des Deutschlandfunks mit dem Titel: Staatsschulden nach der Corona-Pandemie: Bürde oder Chance.

Schuldenbremse ist Investitionsbremse

Weil fast alle seinerzeit von der Schuldenbremse überzeugt waren, ist es nun um so schwieriger, nicht nur die eigene Partei, sondern auch uns Bürger davon zu überzeugen, dass diese Schuldenbremse eigentlich nicht sinnvoll ist; zumindest nicht so, wie sie aktuell im Grundgesetz verankert ist. Helge Braun hat damit eine sehr wichtige Diskussion angestoßen, weil wir nun noch einige Monate darüber diskutieren können, warum die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Fassung grundsätzlich nicht hilfreich ist und wie eine gesetzliche Regelung aus makroökonomischer Perspektive ausformuliert sein müsste, damit die Schuldenbremse nicht zu einer Investitionsbremse degeneriert und wir unseren Kindern tatsächlich eine untilgbare Schuld hinterlassen in Form von maroden Straßen, Brücken, Schulen und digitaler Infrastruktur, deren Rückständigkeit nun ihm Rahmen des Homeschooling auch für den letzten Schönredner mehr als offensichtlich wurde. Insofern benötigen wir eine Reformulierung der Schuldenbremse, die die Bedingungen für langfristigen und nachhaltigen Wohlstand wiederherstellt.

Wenn die Wirtschaft wächst, dann können und müssen auch die Schulden wachsen

Zuvor möchte ich aber auf die Folgen hinweisen, die eine zu schnelle Rückkehr zu den Regelungen der Schuldenbremse zeitigen würden.

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, wie die Regelungen der Schuldenbremse wieder eingehalten werden können:

  1. Wachstum
  2. Steuererhöhungen
  3. Ausgabenkürzungen

Dabei ist zu berücksichtigen, dass 2. und 3. Einfluss auf 1. haben. Sowohl Steuererhöhungen als auch Ausgabenkürzungen führen dazu, dass die verfügbaren Einkommen sinken. Da aber die Ausgaben des einen die Einnahmen des anderen sind, führen sinkende Einnahmen zu geringeren Ausgaben und somit letztlich zu geringerem Wachstum. Ohne höheres Wachstum ist es aber wiederum sehr unwahrscheinlich, dass sich die Verschuldungssituation verbessert. Griechenland und Italien sind hier zwei abschreckende Beispiele.

Wenn sich die Politik für eine Steuererhöhung entscheiden sollte, dann sollten es solche Steuern sein, die die Nachfrage möglichst wenig beeinträchtigen. Am unschädlichsten ist hier die Erbschaftssteuer, die zudem verhindert, dass sich im Laufe der Zeit zu viel Vermögen und somit zu viel Macht in den Händen der 1 % anhäuft (mehr dazu hier).

Sobald die pandemiebedingten Einschränkungen wieder aufgehoben werden können, wird auch das Wachstum wieder zurückkehren. Wie schnell, das kann keiner vorhersagen, weil wir noch nicht wissen, ob und wie sich die Konsumgewohnheiten verändert haben und welche Geschäftsmodelle sich letztlich durchsetzen werden.

Zinsquotenbremse statt Schuldenbremse

Statt ausschließlich auf die Regelungen von Schuldenbremse und Stabilitätspakt zu schauen, ist es sinnvoller auf die Inflationsentwicklung sowie die damit verbundene Entwicklung des Zinsniveaus zu schauen. Warum? Weil neben der Lohnentwicklung insbesondere die Entwicklung der Staatsschulden die Inflationsrate determiniert. Die Debatte hierüber hat gerade an Fahrt gewonnen, nachdem Larry Summers und Paul Krugman sich hierzu mehrfach geäußert hatten (hier, hier und hier). Die Reaktion der Renditen für USTs (amerikanische Staatsanleihen) bestätigen in ihrer Tendenz die Prognosen von Summers, allerdings (noch) nicht in der Höhe. Die Renditen für 10-jährige Anleihen sind seit ihrem Tiefpunkt von August 2020 um 0,9 % gestiegen und liegen aktuell bei 1,44 %. Das sind allerdings Werte, die immer noch weit unter den historischen Zinsniveaus liegen.

In Euroland sind die Schulden deutlich geringer angestiegen als in den USA. Von daher sind die Reaktionen auf die Renditen auch weniger stark ausgeprägt. Die Renditen für 10-jährige Bunds sind im Vergleichszeitraum um weniger als 0,3 % gestiegen und liegen aktuell immer noch bei -0,36 %. Insofern ist es nicht ausgemacht, ob die moderaten Inflationsprognosen von Michael Heise auch tatsächlich eintreffen werden (mehr dazu hier).

FRED

Das alles sind Anzeichen dafür, dass eine Erholung der Wirtschaft noch eine Weile dauern wird und es von daher keinen Anlass dafür gibt, die Staatsausgaben zügig zurückzufahren, geschweige denn die coronabedingte Zusatzverschuldung gar zu tilgen.

Wenn sich die Wirtschaft wieder erholen sollte und das Wachstum wieder anzieht, dann – und nur dann – wird es auch wieder zum einem Anstieg der Inflation kommen und somit zu einem Anstieg des Zinsniveaus. Die höheren Zinsen werden sich aber nicht sofort im Staatshaushalt bemerkbar machen, da ja viele Anleihen mit Laufzeiten von 10 bis 30 Jahren ausgegeben wurden. Österreich hatte gar Anleihen mit 100-jähriger Laufzeit sowie einem Zinscoupon von 2,1 % begeben. Das sind gerade mal 0,1 % über dem Inflationsziel der EZB. Zudem werden in Euroland mittlerweile über 30 % der Staatsanleihen von den Zentralbanken gehalten, so dass die Zinsen hierauf für die Staatshaushalte erfolgsneutral sind, weil die Gewinne der EZB wieder an die nationalen Haushalte überwiesen werden (linke Tasche, rechte Tasche). Ein Anstieg des Zinsniveaus ist zudem kein schlechtes, sondern vielmehr ein gutes Zeichen, weil es eine Folge von Wachstum ist. Und dieses Wachstum ist wiederum Voraussetzung dafür, dass die Versprechungen der privaten Altersvorsorge nicht völlig kollabieren. Dann wären auch die Zeiten mit Nullzinsen oder gar Negativzinsen für Sparer endlich wieder vorbei.

Um dieses Wachstum zu erreichen. sollten wir sehr darauf bedacht sein, dass wir die Staatsausgaben weniger in konsumtive sondern vielmehr in investive Bereiche wie Bildung und Infrastruktur lenken. Falls nicht, dann werden wir sehr wahrscheinlich zukünftig höhere Inflationsraten bei niedrigem Wachstum erleben; eine Situation ähnlich den 70er Jahren, die auch als Stagflation bezeichnet wird.

Solange die nominellen Zinsen langfristig nicht schneller steigen als die nominellen Wachstumsraten, wird die Zinsquote – und somit die Belastung der Staatshaushalte mit in der Regel konsumtiven Zinszahlungen – nicht steigen. Und nur darum geht es letztlich, da Staatsschulden bekanntlich nicht zurückgezahlt, sondern stets revolviert werden. Insofern sollten wir die unselige Schuldenbremse durch eine Zinsquotenbremse ersetzen (mehr dazu hier und hier), die zugleich immer die Entwicklungen der Leistungsbilanz mit berücksichtigt. So haben Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen (Deutschland, Niederlande, Schweiz) einen größeren Freiheitsgrad als Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten (USA, Griechenland, England).

Diese Überlegungen sollten im Zentrum einer Debatte über den Sinn und Zweck von Staatsschulden stehen; und zwar fernab aller Glaubensbekenntnisse und Grundüberzeugungen zum Thema Staatsanleihen und Zinsen; denn diese sind in wesentlichen Punkten falsch, wie Jeff Snider aktuell nochmals sehr überzeugend dargelegt hat: The Eurodollar World Tour sowie Why Economists Kept Getting the Policies Wrong.

 

Lesen Sie hier den ersten Teil: Die Rolle der Schulden in unserem Geldsystem
Lesen Sie hier den zweiten Teil: Private Schulden müssen zurückgezahlt werden
Lesen Sie hier den dritten Teil: Gesamtverschuldung versus Neuverschuldung

DER AUTOR

Dipl.-Hdl. Michael Stöcker betreibt den Blog Zinsfehler.

 

 

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