Peter K. Jaensch: Einheitlicher Volkswille oder Vielzahl der Interessen?

Georg Thiel — Foto: rundfunk-frei.de/rundfunk-frei_gesicht-zeigen

Für die Freiheit ins Gefängnis

Der Fall des „GEZ-Rebellen“ Georg Thiel

Peter K. Jaensch M.Ed.. — Dresden, 28. Juli 2022. Aktualisiert am 11. August 2022

Ich besitze weder Radio noch Fernseher. Meine Zeit verbringe ich gerne mit schönen Dingen, denn ich habe Besseres im Leben zu tun, als Rundfunk-Medien zu nutzen. Die Nachrichten sind lückenhaft und teilweise manipulativ. So eine Einrichtung möchte ich niemals finanziell unterstützen.

Georg Thiel, Technischer Zeichner aus Borken (Nordrhein-Westfalen) — Link

 

Dieser Text ist kurz vor der Aufdeckung der finanziellen Unregelmäßigkeiten beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im August 2022 geschrieben worden. Die hier an den Tag gelegte kriminelle Energie bei der Veruntreuung von öffentlichen Geldern wird zur Zerschlagung des Senders führen müssen. Sein Ruf ist für immer beschädigt. Dies gilt auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland insgesamt. Hier wird man den Weg Frankreichs und Großbritanniens gehen müssen, die ihre zwangsfinanzierten Propagandasender als nicht mehr zeitgemäß jetzt abschaffen werden.

Georg Thiel, ein Mann im mittleren Alter, der als technischer Zeichner in einer kleinen Dachzimmerwohnung in einem entlegenen Winkel von Westfalen wohnt und arbeitet, von der BILD-Zeitung als „Rundfunk-Rebell“ gefeiert, hat versucht, sich diesem Schlamassel zu entziehen, indem er seine Zahlungen an die Staatssender eingestellt hat.

Als „Reichsbürger“ zum Staatsfeind erklärt

Dieser Mann wurde daraufhin als „Reichsbürger“ zum Staatsfeind [siehe Quellennachweis 1] erklärt, sein Haus observiert, bis er schließlich eines Tages von einer Gerichtsvollzieherin in Begleitung zweier Polizeibeamte ins Gefängnis gebracht wurde.

Was war passiert? Thiel wollte den Zirkus nicht mehr mitmachen. Die von ihm verlangte Vermögensauskunft sowie die Zahlung seines Pflichtbeitrags zur Finanzierung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks in Deutschland hat er schlichtweg verweigert.

Mit der Begründung, es könne nicht angehen, daß er als freiberuflicher technischer Zeichner genauso viel zur Finanzierung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks in Deutschland beitragen soll wie zum Beispiel der Intendant des Westdeutschen Rundfunks mit seinem Jahresgehalt von 404.000 Euro. Thiel meinte auch, es gäbe noch andere Möglichkeiten sich zu informieren, und überhaupt, der Rundfunkbeitrag müsse reformiert werden. So Georg Thiel gegenüber der Presse.

WDR ließ Georg Thiel in Erzwingungshaft bringen

Wie soll man das jetzt verstehen? In diesem Beitrag zum Thema Rundfunkbeitrag geht es um die Frage, warum die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer Staat Menschen nicht nur verfolgt, sondern wie hier im Fall Georg Thiel bereit ist, diese ins Gefängnis zu bringen, nur weil sie ein bestimmtes Medienangebot weder nutzen noch zahlen wollen.

Dabei muß man wissen, daß Georg Thiel nicht wegen seine „Schulden“ beim Beitragsservice in Erzwingungshaft genommen wurde, sondern weil er sich geweigert hat, in dieser Angelegenheit eine Vermögensauskunft zu geben. Die Gemeinde, die den „Titel“ des WDR vollstreckt hat, und in der Thiel einsaß, war das Ganze wegen des Medienrummels auch peinlich. Um ihren Ruf besorgt hat sie mehrmals beim Westdeutschen Rundfunk versucht, die Strafe von 6 Monaten zumindest abzukürzen. Der WDR, besorgt um die Außenwirkung eines vorzeitig freigelassenen „Rundfunk-Rebellen“, blieb hart.

Was meint der schillernde Begriff der Demokratie?

Wie paßt das zusammen: Demokratie, Öffentlicher Rundfunk und Gefängnis? Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk stets seine Bedeutung für eine funktionierende Demokratie hervorgehoben. Dazu muß man aber wissen, was mit dem schillernden Begriff Demokratie überhaupt gemeint ist.

Die Wissenschaft führt eine Anzahl von Merkmalen auf, die erfüllt werden müssen, um bei einem Staatswesen von einer Demokratie sprechen zu können: Volkssouveränität; Rechtsstaatsprinzip; Pluralismus; horizontale Gewaltenteilung zwischen exekutiver, legislativer und judikativer Gewalt; eine Staatsform mit Verfassung; und die Achtung der Menschenrechte.

Als Gegenentwurf zum „Pluralismus“, das auch als Konkurrenztheorie oder Konkurrenzmodell bekannt ist, hat die Wissenschaft den Begriff Identitätstheorie mit einem „Identitätsmodell der Demokratie“ geprägt. [siehe Quellennachweis 2]

Konkurrenzmodell

Ein nach dem Konkurrenzmodell organisierter Staat ist pluralistisch organisiert, hat keinen einheitlichen Volkswillen, sondern eine Vielzahl konkurrierender gegensätzlicher Interessen, die sich in einem Interessenausgleich zusammenfinden und von einem gemeinsamen Willen zusammengehalten werden, der sich auf einen Grundkonsens begrenzt, wie er in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika in dem Erwerb von Besitz und Eigentum und dem Streben nach Glück und Sicherheit zum Ausdruck kommt.

Identitätsmodell

In dem Identitätsmodell der Demokratie dagegen gilt ein einheitlicher Volkswille mit einem vorgegebenen Gemeinwohl, d. h. die politische Führung setzt den einmal als richtig erkannten freien Willen (volunté générale) in die Tat um. Abweichungen und oppositionelle Strömungen werden in dem Identitätsmodell der Demokratie ausgegrenzt, da sie gegen den Volkswillen und das Gemeinwohl verstoßen.

Die Merkmale des Identitätsmodells einer Demokratie mit ihrem einheitlichen Volkswillen und vorgegebenen Gemeinwohl werden in der Präambel zum Grundgesetz, in der von Deutschland als ein „gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa, das dem Frieden der Welt zu dienen (hat)“ die Rede ist, und in Artikel 14 Absatz 2, in dem steht, daß der Gebrauch des Eigentums dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen hat verfassungsrechtlich festgelegt.

Meinungs- und Pressefreiheit hat nur deklamatorischen Wert

Was hat das mit Georg Thiel zu tun? Wußte Thiel, daß in einer Identitätsdemokratie mit ihrem feststehenden einheitlichen Volkswillen und vorgegeben Gemeinwohl die Meinungs- und Pressefreiheit nur einen deklamatorischen Wert hat? Denn über diese Freiheiten steht der von der politischen Klasse vertretene Volkswille. Schließlich muß ja der einheitliche Volkswille aufrechterhalten werden. Dafür muß dieser aber laufend durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk propagiert werden. Und dabei stört jemand wie Georg Thiel nur. Schlimmer noch, im Erfolgsfall könnte sein Beispiel Nachahmer finden.

Georg Thiel und seine vielen Mitstreiter, wozu ich mich auch zähle, wir waren nie bereit, diese Einschränkung unserer Rechte zu akzeptieren. Das würde auch Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union widersprechen. Hier wird uns versprochen, daß wir unsere Meinung äußern und uns ungehindert informieren können:

Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.


Aus Sicht der politischen Klasse in der Bundesrepublik hat Georg Thiel durch sein Verhalten aber zum Ungehorsam gegen den Staat aufgerufen. Als Oppositioneller in der DDR wäre er wegen Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung verhaftet und mit einem Freiheitsentzug zwischen zwei und zehn Jahren bestraft worden. Da hat Thiel mit seinen 6-Monaten noch Glück gehabt, ja er bekommt hier sogar einen „Demokratie-Rabatt“.

Rechte und Freiheiten ständig einklagen und verteidigen

Was können wir hieraus lernen? Korrupte Menschen wie Schlesinger vom korrupten RBB und Freunde der Freiheit wie Georg Thiel werden kommen und gehen. Was ewig bleibt, sind unsere grundlegenden Rechte und Freiheiten, die aber ständig aufs Neue eingeklagt und verteidigt werden müssen. Wer gar nicht damit anfängt, hat bereits beide verloren. Daher mein Rat: Informieren Sie sich bei www.gez-boykott.de.

QUELLENNACHWEIS

Dieser Quellennachweis ist gleichzeitig ein Hinweis auf weiterführende Literatur zum Thema „Georg Thiel“ und „Merkmale demokratischer Systeme“.
1) David gegen Goliath. Der Kampf des Georg Thiels gegen den WDR. Eine Spezial-Dokumentation der JUNGEN FREIHEIT. Berlin o. D. Seite 9. Bestell-Nr.: 95348. www.jf-buchdienst.de. Tel. 030/864953-25 (Anm.: Die Dokumentation ist 2021 gedruckt worden.)
2) Für eine kurze Einführung in die Identitäts- und Konkurrenztheorien siehe das Heft Grundlagen der nationalen und internationalen Politik, Kapitel 3 „Merkmale demokratischer Systeme“, Seiten 12–16. Erschienen 2018 im Stark Verlag, www.stark-verlag.de.

DER VERFASSER

Peter K. Jaensch M.Ed. ist Magister der Erwachsenenbildung und Personalentwicklung (Bradford Universität England), Dozent in der Erwachsenenbildung, Übersetzer und Dolmetscher für die englische Sprache, Mitarbeit an der Handlungshilfe für Rufdienste „The Call Centre Training Handbook“, London 2008.
Kontakt: p.jaensch@englisch-kommunikation.net; www.englisch-kommunikation.net

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