Peter K. Jaensch: Wo stehen wir heute und was können wir tun? – Teil 1

— Foto: Siggy Nowak/Pixabay

Die unerträgliche Freiheit

Wie Recht und Ordnung heute verspielt werden

Von Peter K. Jaensch M.Ed. — Dresden, 12. November 2021

Freiheit wird kurz als die Unabhängigkeit von Zwang oder Bevormundung definiert. Im politischen Sinne bedeutet sie einen Zustand, in dem jemand frei von bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen, als Zwang oder Last empfundenen Bindungen oder Verpflichtungen ist und sich in seinen Entscheidungen nicht eingeschränkt fühlt.[2] Staat und Bürger fällt es heute zunehmend schwerer, diese Freiheit auszuhalten. Das vormals sachlich freie Miteinander von Staat und Bürger ist einem fürsorglichen und autoritären Verhältnis gewichen. Wie es so weit kommen konnte und was wir dagegen tun können, soll hier in zwei Beiträgen aufgezeigt werden.

Siegeszug individueller Freiheit

Der Siegeszug individueller Freiheit in allen Lebensbereichen setzte bereits im 19. Jahrhundert ein. Es fanden bedeutsame politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, wissenschaftlich-technische und kulturelle Veränderungen statt, die den Menschen eine neue Freiheit verhießen. Neben den vielen Nutznießern bedeutete diese Freiheit aber auch einen sozialen und ökonomischen Abstieg für viele Menschen. Sie konnten die Folgen dieser Freiheit nicht aushalten, zogen sich als sogenannte Modernisierungsverlierer aus der Gesellschaft zurück, lehnten das politische System ab oder wurden gewalttätig oder kriminell. Daran hat sich heute nichts geändert.

Mit dem Siegeszug individueller Freiheit entstand auch gleichzeitig ein Glaube an grundlegende Verbesserungen durch bedeutende Veränderungen bestehender Zustände oder Abläufe in menschlichen Gesellschaften sowie eine Weltsicht, die die Gültigkeit jeglicher Seins-, Erkenntnis-, Wert- und Gesellschaftsordnung verneinte. Nichts schien mehr unmöglich, weder die Eroberung des Weltalls noch die Zerstörung der Erde durch den Menschen.

Verlust gesellschaftlicher Stabilität

Heute hängen die Menschen frei zwischen ihren Wünschen und der Wirklichkeit. Hierdurch ist eine „Lücke zwischen technischer Aufrüstung und moralischer Abrüstung“[3] entstanden. Mit anderen Worten, befreit von der Achtung vor Autoritäten und Fixpunkte wie Gott, Tradition, Ethnizität und Staat wird nunmehr alles infrage gestellt, was einst Ansehen oder Geltung hatte. Die Befreiung des Menschen von einer höheren Instanz hat beim Menschen eine Lücke hinterlassen, einen Mangel an moralische Verbindlichkeit. Heute sind wir sogar hinter dem am Anfang des 20. Jahrhunderts erreichten Grad an Stabilität gefallen, eine Stabilität, die für Staat und Gesellschaft in Deutschland damals eine „innere Befriedung“ und eine „außergewöhnliche Entfaltung der Wirtschaftskraft“ mit sich brachte.[4]

Mittlerweile sind alle Grenzen gefallen, ob die der Nation als Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden, oder die zwischen den Geschlechtern mit der Gesamtheit ihrer Merkmale, die sie in Bezug auf ihre Funktion bei der Fortpflanzung als männlich oder weiblich kennzeichnen. Diese Entgrenzung betrifft auch die Ausübung von Macht durch Herrschaft, die heute technisch unbegrenzt ausgeübt werden kann. Dabei ist unser vermeintlich fortschrittliches Zeitalter, das dank digitaler Technologien das Leben grüner und sozial inklusiver gestalten soll, nunmehr dabei, den diktatorischen Regimen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrem absoluten Verfügungsanspruch über ihre Staatsbürger nachzueifern.

Verlust an Freiheit

Das heißt nichts anderes als die Zerstörung der bisherigen Ordnung, wobei Ordnung eine Grundkategorie sozialer Existenz und Voraussetzung für Freiheit, Sicherheit und Vertrauen ist. Heute wird alles, was in einer Gesellschaft für gut, richtig und anständig gehalten wird, sei es Besitz, Familie oder Nation, nur danach beurteilt, ob es den Umsturz der bestehenden Ordnung blockiert. Es gilt, „den Ordnungskreis (zu) diskreditieren und das Kontinuum auf(zu)sprengen.“[5]

Ziel ist es, aus dem freien Staatsbürger von heute den angepaßten Weltbürger von morgen zu machen. Es sollen alle Völker einem einzigen Macht- und Interessezentrum unterworfen werden, um national begrenzte Herrschaft durch international unbegrenzte Herrschaft zu ersetzen. Aktuell ist das sichtbar in der Rückkehr der Bio-Macht als „Kunst der Machtausübung durch die Regulierung der menschlichen Biologie – Macht über Körper, Leben und Tod.“[6] Der Begriff wurde von dem französischen Begründer der machttheoretischen Diskursanalyse Michel Foucault geprägt, wobei er diese Art von Politik, auch als Biopolitik bekannt, als „die Politisierung des Lebens an sich“[7] bezeichnet. Dabei ist das Leben etwas, was jeden von uns angeht. Im zweiten Artikel zeige ich, daß wir bei diesem Vorgang nicht wie der Frosch im heißen Wasser ruhig bleiben müssen bis wir gekocht sind.

Was können wir tun?

Was können wir tun? Ich höre viel von Forderungen an andere. Anstatt diese Linie zu verfolgen, möchte ich in einem zweiten Teil eine interessante Veröffentlichung vorstellen, die aufzeigt, daß man einer unübersichtlichen Situation nicht hilflos ausgeliefert sein muß. Dabei geht es darum, anstelle des „Neuen Menschen“, der glauben, gehorchen, kämpfen soll, mutig, stark, stolz und diszipliniert sein soll, wieder den gewöhnlichen Menschen zu setzen, der gemäß seiner Natur den ihm zugewiesenen Platz einnimmt und damit seinen Beitrag für unser aller Freiheit leistet. Das heißt aber auch, einen Menschen, der gemäß seinen Fähigkeiten bereit ist zu handeln. Etwas Kuchen kann dabei auch nicht schaden.

FORTSETZUNG

Teil 2 von „Wo stehen wir heute und was können wir tun?“ erscheint demnächst unter dem Titel Vom Verlust der Freiheit. Wie Recht, Ordnung und Wohlstand heute verspielt werden

ANMERKUNGEN

[1] Hinz, Thorsten: Amoklauf gegen das Erhabene, Junge Freiheit 5.11.2021. Den Begriff „unerträgliche Freiheit“ habe ich von Thorsten Hinz übernommen. In seinem Beitrag zum 200. Geburtstag des russischen Autors Fjodor Dostojewski („Amoklauf gegen das Erhabene – Was uns der vor zweihundert Jahren geborene Fjodor Dostojewski heute noch zu sagen hat“) schreibt er, daß den Menschen die Freiheit unerträglich werden würde. Sie würden sich „von neuem unterwerfen, und dann ein für allemal“, auf daß ihnen die neuen Machthaber „ein stilles, friedliches Glück gewähren: das Glück der schwachen Wesen, als die sie nun einmal geschaffen sind“.
[2] Google Wörterbuch „Freiheit+Definition“ aufgerufen am 11.11.2021 unter https://www.google.com/search.
[3] Weimar, Wolfram: Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit. Kulmbach 2018, Seite 102.
[4] Weissmann, Karlheinz: Keine Sonderwege in eine Urkatastrophe. Besprechung der Neuerscheinung „Kaiserdämmerung“ von Rainer F. Schmidt. Junge Freiheit 22.10.2021. Hierzu bleibt noch anzumerken, daß das deutsche Sozialsystem in der Kaiserzeit insbesondere von der US-amerikanischen Forschung als vorbildlich angesehen wird.
[5] Hinz, Thorsten. Ebenda
[6] Friberg, Daniel: Die Rückkehr der echten Rechten. Handbuch für die wahre Opposition. Berlin 2016. Seite 59.
[7] ebenda

DER VERFASSER

Peter K. Jaensch M.Ed. ist Magister der Erwachsenenbildung und Personalentwicklung (Bradford Universität England), Dozent in der Erwachsenenbildung, Übersetzer und Dolmetscher für die englische Sprache, Mitarbeit an der Handlungshilfe für Rufdienste „The Call Centre Training Handbook“, London 2008.
Die Idee zum Schreiben der Artikelserie „Wo stehen wir heute und was können wir tun?“ kam mir während meiner Teilnahme an einem Lehrgang für Philosophische Anthropologie unter der Leitung der Hochschule München.
Als vergleichsweise junge Wissenschaft – als eigene Fachrichtung ist die Anthropologische Philosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert entstanden – befaßt sie sich in erster Linie mit der Freiheit und schöpferischen Leistungsfähigkeit des Menschen. In diesem Sinne möchte ich in verständlicher Sprache zur Klärung unserer heutigen Lebenssituation beitragen.
Kontakt: p.jaensch@englisch-kommunikation.net; www.englisch-kommunikation.net

 

 

 

 

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