Peter K. Jaensch: Wo stehen wir heute und was können wir tun? – Teil 2

Dezember 2021 — Foto: Dennis Hohloch

Vom Verlust der Freiheit

Wie Recht, Ordnung und Wohlstand heute verspielt werden

Von Peter K. Jaensch M.Ed. — Dresden, 17. Dezember 2021

Das Ziel der Aufklärer im 17. und 18. Jahrhundert war es, den Menschen aus seiner Unmündigkeit herauszuführen und mit Hilfe der Vernunft das „Glück auf Erden“ zu erlangen. Die Menschen sollten als mündige Bürger glücklich leben. Dieses Ziel sollte erreicht werden, indem alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft und Kultur durch den Rationalismus, der Vernunft verändert wurden. [1] Nachdem im ersten Artikel gezeigt wurde, daß diese Freiheit zu einer Polarisierung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert führte und somit unerträglich wurde, soll nun in diesem zweiten Artikel gezeigt werden, wie diese Freiheit heute im 21. Jahrhundert immer mehr verloren geht.

Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbständig zu handeln und zu entscheiden. Für viele Menschen erschöpft sich diese Freiheit heute auf das Greifbare, wie die Wahl zwischen Partnern, Auto- oder Biermarken. Oder zwischen Personen, die ihnen zur Wahl vorgesetzt werden. Dagegen haben sie in ihrem Alltag wenig Erfahrung mit weiterreichenden Freiheiten wie Willens- und Handlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, Gewissens- und Religionsfreiheit, da hierfür Gesetze und Verhaltensregeln gelten, die auf Gewohnheit und unausgesprochener Übereinkunft beruhen.

Jedoch wird heute mit steigendem Lebensstandard das selbständige Denken als Voraussetzung eines vernunftgemäßen Gebrauchs der Freiheit zunehmend überflüssig. Schließlich können wir aus dem Vollem schöpfen. Diese Einstellung gilt heute nicht nur bei den Massen, sondern auch bei den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern. Die Folgen für die Freiheit gilt es hier aufzuzeigen.

Freiheit ohne Grenzen

Jetzt, da die Menschen glauben ohne Gott auskommen zu können, beanspruchen sie eine Allmacht, wie sie sonst nur Gott zugesprochen wird. In Anspielung an zwei Wunder Jesu, bei denen es am See Genezareth gelang, mit einer äußerst geringen Menge an Nahrungsmitteln mehrere Tausend Menschen zu speisen und satt zu machen, versuchen die Menschen es Ihm zum Beispiel mit einer wundersamen Geldvermehrung [2] gleichzutun. Beim Klima soll dagegen eine Welt ohne Naturkatastrophen geschaffen werden, im Energiebereich eine Versorgung ohne Hinterlassenschaften und bei der Gesundheit eine Welt ohne Krankheit. Wie das geschehen soll wird nicht ergebnisoffen diskutiert, sondern von „oben“, also von den neuen Göttern, befohlen.

Dabei herrschte bis vor kurzem Übereinkunft darüber, daß der wissenschaftliche Streit, das Nebeneinander unterschiedlicher Meinungen, Theorien, Modelle usw. eine wesentliche Voraussetzung für den Erkenntnisfortschritt bildet, auf den unser heutiger Wohlstand beruht, wobei dieser aber inzwischen ein Ausmaß angenommen hat, das jedes selbständige Denken und damit jede Freiheit überflüssig macht. Freies Denken stört da nur noch.

Das konnte nur geschehen, da der Staat sich allwissend gibt und die Gottesgläubigkeit durch die Staatsgläubigkeit ersetzt hat. Es ist heute die Priesterkaste der Regierungsexperten, die Angst vor dem Fegefeuer, das auf Ungehorsam folgt, verbreiten, und die die Menschen in Angst und Schrecken setzen. Das wiederum macht rationales Denken nahezu unmöglich und sorgt dafür, daß man rationalen Argumenten nicht mehr zugänglich ist. Der Blickwinkel verengt sich, es kommt zum berüchtigten Tunnelblick. Das offene Denken ist somit ein erstes Opfer des Verlusts an Freiheit. Aber ohne Angst kann eine autoritäre Herrschaft ihre Allmachtansprüche nicht durchsetzen. Ein solches System beruht auf betreutes Denken und organisierter Angst. Die Untergebenen werden regelrecht zur Angst erzogen.

Freiheit ohne Bewußtsein

Selbständiges Handeln und Entscheiden als Kennzeichen der individuellen Freiheit setzt klares Denken und die Verfügbarkeit von Informationen voraus. Dabei ist Bewußtsein von etwas ein Zustand, in dem man sich einer Sache bewußt ist, in der man also etwas deutlich weiß. Ohne dieses bewußte selbständige Aneignen von Wissen wäre man in seinen Entscheidungen von fremdem Wissen abhängig. Und somit auch von fremden Entscheidungen.

Hier ist die Verfügbarkeit von Informationen eine zentrale Voraussetzung für das Treffen von Entscheidungen. Und somit ein Kriterium für die eigene Freiheit. Wie im soeben erwähnten wissenschaftlichen Diskurs, so zeichnen sich auch freie Gesellschaften dadurch aus, daß dort alle Ideen und Informationen nebeneinander existieren können, ohne daß eine Richtung vorgegeben oder eine bestimmte politische Idee bevorzugt wird. Es soll hier die Rede sein vom mündigen Bürger, der Zugang zu diesen Ideen und Informationen hat, damit er sich seine eigene Meinung bilden und selbständig entscheiden kann. Daß eine freie Gesellschaft auf freien Zugang zu Information beruht, wird ausdrücklich im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland anerkannt. Dort heißt es: „Eine Zensur findet nicht statt.“ [3]

Eingeschränkter Zugang zu Information

Soweit die Theorie. In der Praxis findet die Absicherung von Herrschaft durch die Sicherung des Zugangs zu Information statt. Wenn es zum Beispiel bei der Verfügbarkeit von Informationen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland heißt, „der Rundfunk trägt entscheidend zur politischen Sozialisation und Willensbildung bei, weshalb allein schon aus demokratietheoretischer Sicht eine einseitige Instrumentalisierung ausgeschlossen werden muss“ [4] so gilt das nur insofern die bestehenden Machtverhältnisse davon nicht berührt werden. Je weiter der Allmachtanspruch des Staats sich entwickelt, desto „flexibler“ muß der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Staatssender [5] darauf reagieren.

Karl Marx sah hier jede gesellschaftliche Einrichtung als etwas an, daß von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zweck, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. [6] Dabei wissen wir aus großen gesellschaftlichen Umbrüchen, daß „der Anfang aller Ordnung […] auf einer Entscheidung beruht, nicht auf einer Norm. Dabei ist es die Einheit und Organisationsfähigkeit der Wenigen, die über die Dauerhaftigkeit und Beständigkeit von Machtverhältnissen entscheidet.“ [7]

Staatsstreich als Disziplinierungsmittel

So war es auch bei der Wahl eines Ministerpräsidenten im Freistaat Thüringen im Jahr 2020. Den Wählern wurde vorher nicht gesagt, daß ihre Stimmen nicht gleich zählen würden. Die Wähler in Thüringen sind also unter falschen Voraussetzungen zur Wahl gegangen. Der nachfolgende Sturz der von ihnen frei gewählten Regierung wurde nicht mit einem Generalstreik beantwortet. Ihre Möglichkeiten, selbständig zu handeln und zu entscheiden erschöpften sich inzwischen, wie eingangs erwähnt, auf die Wahl zwischen Partnern, Auto- oder Biermarken. Man kann allerdings auch eine Ordnung aus vielerlei Gründen ablehnen und sich ihr dennoch fügen, weil ihr Ordnungswert im Alltagsleben evident geworden ist, weil die Verbindung von Schutz und Gehorsam der Grund ist, auf dem die Macht gedeiht. [8]

Dieser Staatsstreich ist nie aufgearbeitet worden, auch nicht vom höchsten deutschen Gericht. Die Usurpator-Regierung ist immer noch im Amt. Der Inlandsgeheimdienst schweigt beharrlich dazu und eröffnet lieber medienwirksame Nebenschauplätze. Es wird weiter von einem politischen System in Deutschland gesprochen, das es so nicht gibt. Wie beim öffentlich- rechtlichen Rundfunk gilt auch hier, daß die Demokratie und ihre Institutionen nur solange Bestand haben, wie sie den bestehenden Machtverhältnisse nicht im Wege stehen. Je weiter der Allmachtanspruch des Staates sich fort entwickelt, desto flexibler muß er auf alle Herausforderungen reagieren können. Den Betroffenen fehlt dabei in ihrer Komfortzone jegliches Bewußtsein, um gegen diese offenkundige Entmündigung aufzubegehren. Die Machtprobe, die alles in Frage stellen würde, wird gescheut. Ein Generalstreik gegen einen solchen Staatsstreich findet somit nicht statt.

Was können wir tun?

Wir haben uns unsere Freiheit nie erkämpft. Sie kam immer von oben – mit den entsprechenden Bedingungen. Wie gewonnen, so zerronnen – jetzt nimmt man sie uns wieder von oben weg. Wehren wir uns! Nehmen wir unsere verbliebenen Freiheitsrechte wahr! Gehen wir auf die Straße! Wie bei jeder großen gesellschaftlichen Veränderung, so ist auch bei diesem Gang in die Unfreiheit eine Elite gefragt, die gegensteuern kann. Diese soll über Einheit und Organisationsfähigkeit verfügen. Somit gilt es, Netzwerke zu bilden und die herrschenden Kontaktbeschränkungen zu durchbrechen. Es gilt Bewußtsein zu schaffen durch die Gründung von Zirkeln von Gleichgesinnten. Das ist bereits im vollen Gange. Jeder ist jetzt gefragt, denn so kann es nicht weiter gehen.

DER 1. TEIL

Teil 1 von „Wo stehen wir heute und was können wir tun?“ erschien kürzlich unter dem Titel Die unerträgliche Freiheit. Wie Recht und Ordnung heute verspielt werden

ANMERKUNGEN UND QUELLEN

[1] Ausführlich bei Marco Thoma (Autor), 2000, Die Ziele der Aufklärung und ihre Einflüsse auf verschiedene Bereiche der menschlichen Gesellschaft, München, GRIN Verlag, dem ich diese Einführung verdanke: https://www.grin.com/document/103771 (aufgerufen am 25.11.2021).
[2] Hier handelt es sich um eine Anspielung auf das soeben Ende November 2021 erschienene Buch des ehemaligen Professors für Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Präsident des ifo-Instituts und Director des Center for Economic Studies (CES) Hans-Werner Sinn: Die wundersame Geldvermehrung. Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation. Darin thematisiert Sinn die Tatsache, daß aufgrund der heutigen Überschuldung künftige Generationen schuldhaft und somit unfrei zur Welt kommen werden.
[3] Der entsprechende Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html (aufgerufen am 15.12.2021).
[4] Christian Orth (Autor), 2012, Das Gebot der Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – Nicht mehr als eine Wunschvorstellung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204092 (aufgerufen am 20.11.2021).
[5] Prof. Dr. Reiner Osbild, Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer berichtet in der Ausgabe 47/21 (19.11.2021, Seite 10) der JUNGEN FREIHEIT, daß der Sachverständigenrat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Sektor „Staat“ einbezogen hat.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx (aufgerufen am 15.12.2021).
[7] Jörg Baberowski: Der bedrohte Leviathan. Staat und Revolution in Rußland. Seite 36, Berlin 2021.
[8] ebd., Seite 36.

DER VERFASSER

Peter K. Jaensch M.Ed. ist Magister der Erwachsenenbildung und Personalentwicklung (Bradford Universität England), Dozent in der Erwachsenenbildung, Übersetzer und Dolmetscher für die englische Sprache, Mitarbeit an der Handlungshilfe für Rufdienste „The Call Centre Training Handbook“, London 2008.
Die Idee zum Schreiben der Artikelserie „Wo stehen wir heute und was können wir tun?“ kam mir während meiner Teilnahme an einem Lehrgang für Philosophische Anthropologie unter der Leitung der Hochschule München.
Als vergleichsweise junge Wissenschaft – als eigene Fachrichtung ist die Anthropologische Philosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert entstanden – befaßt sie sich in erster Linie mit der Freiheit und schöpferischen Leistungsfähigkeit des Menschen. In diesem Sinne möchte ich in verständlicher Sprache zur Klärung unserer heutigen Lebenssituation beitragen.
Kontakt: p.jaensch@englisch-kommunikation.net; www.englisch-kommunikation.net

 

 

 

Zurück