Prof. Gerd Habermann: 50 Jahre «Verfassung der Freiheit» – Teil 4

— Fotos: privat; ÖNB Wien

Gegen Opportunismus der «Mitte»

Liberalismus und Konservatismus sowie Kritik an Hayeks Werk

Von Prof. Gerd Habermann. — Potsdam, im Oktober 2021

Liberalismus und Konservatismus

Hayek setzt sich in einem Nachwort mit einem bestimmten Typ des Konservatismus im Verhältnis zum Liberalismus auseinander. Er meint damit einen prinzipienlosen Strukturkonservatismus, jenen opportunistische Konservatismus der «Mitte», des Mißtrauens gegen freies Wachstum, der Autoritätsvorliebe, des fehlenden Wirtschaftsverständnisses, des Nationalismus und manchmal sogar der Nähe zum Sozialismus. Hintergrund: Hayek hatte sich gegen den Vorwurf wehren müssen, er sei eher ein Konservativer als ein Liberaler. In der Tat ist es eine Definitionssache, ob man seine evolutionistische Position, die an gegebene Institutionen und Traditionen anknüpft, aber sie den freien Kräften einer spontanen Ordnung überläßt, konservativ oder liberal nennen will. Vielleicht ist der Ausdruck «wertkonservativ» oder «liberalkonservativ» für seine Positionen weiterführend. Er selber schrieb:

«Was ich suche ist ein Wort, das die Partei des Lebendigen bezeichnet, die Partei, die für freies Wachstum und spontane Entwicklung eintritt. Aber ich habe mir vergeblich den Kopf zerbrochen, um ein bezeichnendes Wort zu finden, das sich bieten würde.» (S. 493)

Das Wort «libertär» findet er unschön:

«Für meinen Geschmack trägt es zu sehr den Stempel des erfundenen Wortes und des Ersatzes».

Kritik an Hayeks Werk

Hayeks Positionen fanden auch im (neo-)liberalen Lager manchen Widerspruch. Rüstow nannte seine Positionen (wie die von Mises) «paläoliberal». Andere schalten ihn «marktradikal». Weitere Kritiker verwarfen seinen Evolutionismus (s. dazu Feldmann, 2002).

Den Freunden einer reinen Privatrechtsordnung (ohne Staat) wie Rothbard, Hoppe, Dürr gilt Hayek mit seiner Wissenstheorie als Irrationalist und vor allem als «gemäßigter Sozialdemokrat» – wie jeder, der an einem zwangsfinanzierten Staat festhält (also dann eigentlich auch alle großen Denker der liberalen Tradition, von Aristoteles, Cicero über die großen Schotten, namentlich Adam Smith bis sogar zu Ayn Rand oder Ludwig von Mises, diesen Anhängern eines Minimalstaates, von Wilhelm Röpke oder Walter Eucken und den «Ordoliberalen» zu schweigen).

Gewiß mag Hayeks Ideal des kleinen Staates oder Minimalstaates heute utopisch erscheinen – aber um wieviel utopischer ist doch das Ideal einer staatsfreien Gesellschaft mit konkurrierenden Privatfirmen als einer Art kommerzieller Privatstaaten (mit Erzwingungsgewalt). Gewiß: es gab die herrliche Zeit der genossenschaftlichen Herrschaftsbildungen ohne den (modernen, bürokratischen) Staat – von der an- tiken Polis bis zu den mittelalterlichen Bauerngenossenschaften und freien Städten in Deutschland und Italien. An diese Traditionen kann man freilich im Sinne eines revitalisierten kraftvollen Föderalismus und Kommunalismus (mit Steuer- und Verfassungsautonomie) heute anschließen. Aber auch diese Gebilde wären nicht «staatsfrei». Für solche Reformen bietet Hayeks liberaler Klassiker etliche Anknüpfungspunkte im Sinne des Wortes von Margret Thatcher in einer Debatte, mit hochgehaltener «Verfassung der Freiheit»: «Dies ist es, woran wir glauben!» (nach Hennecke, S. 330)

LITERATUR

Ich zitiere hier nach der ersten Ausgabe von Hayeks «Die Verfassung der Freiheit» (Tübingen, 1971). Heute in Hayeks «Gesammelte Schriften in deutscher Sprache», B3, 4. Aufl., Tübingen 2005
Sekundär:
Bouckaert, Boudewijn und Godart -van der Kroon, Annette (Ed.): Hayek revisited, Cheltenham 2000
Caldwell, Bruce: Hayek´s Challenge, Chicago, 2004
Feldmann, Horst: Hayeks Theorie der kulturellen Evolution. Eine Kritik der Kritik, in: Kulturelle Prägungen wirtschaftlicher Institutionen und wirtschaftspolitischer Reformen, Berlin 2002, S. 51 ff.
Frei, Christoph/Nef Robert: Contending with Hayek, Bern 1994
Getabstract.com.de: Zusammenfassung von «Die Verfassung der Freiheit» Hennecke, Hans Jörg: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000
Horn, Karen Ilse: Hayek für jedermann. Die Kräfte der spontanen Ordnung, Frankfurt 2013
Schwarz, Gerhard/ Habermann, Gerd/Aebersold Szalay, Claudia (Hrsg.): Die Idee der Freiheit (darin zur «Verfassung der Freiheit» Viktor J. Vanberg, S. 84/85), 2. Aufl., Zürich 2007
Schwarz, Gerhard/Wohlgemuth, Michael: Das Ringen um die Freiheit. «Die Verfassung der Freiheit» nach 50 Jahren, Zürich 2011
Waschkuhn, Arno: Kritischer Rationalismus (Darin ausführlich über Hayek S. 85ff.), München 1999

DER AUTOR

Prof. em. Dr. Gerd Habermann ist Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Initiator und Mitgründer der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft und der Friedrich-August von Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft.
Wir veröffentlichen den Artikel von Prof. Gerd Habermann mit freundlicher Genehmigung des Autors. Copyright 2021, Liberales Institut, Zürich, Schweiz.

 

 

 

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