Rüdiger Rauls: Bauernproteste bringen Politik und Hoheitsmedien in Rage

Treckerkonvoi auf der B7 im Sauerland bei Bauernprotesten am 8. Januar 2024. — Foto: Martin Lindner/Wikimedia

Kraftvolle Bewegung ohne Theoriestreit

Handwerk und Handarbeit stören das Überlegenheitsgefühl des Führungspersonals im intellektuell ausgerichteten Westen.

Von Rüdiger Rauls. — Trier, 10. Januar 2024

Landwirte in Schleswig-Holstein haben Vizekanzler Habeck am Verlassen einer Fähre gehindert. Auf diesen Vorfall reagieren Berlin und die Hoheitsmedien in wilder Empörung. Sie beklagen den Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln und die Verrohung in der politischen Auseinandersetzung. Sie fragen sich aber nicht, welche Vorleistungen sie selbst erbracht haben. Zudem verwundert, wie unterschiedlich beide mit den Blockaden der Bauern auf der einen Seite und denen der Klimakleber auf der anderen umgehen.

Nach den Protesten von Schlüttsiel soll nun ermittelt werden. „Landfriedensbruch steht schon im Raum“, sagte ein Polizeisprecher (1). Insgesamt ist zu erkennen, dass man die Bauernbewegung kriminalisieren will. In diese Richtung zielen auch die immer stärker werdenden Hinweise und Warnungen, dass diese Bewegung von rechts unterwandert sein könnte oder bereits ist. Damit will man ihr die Unterstützung durch die Bevölkerung zu entziehen versuchen.

Klimakleber blockieren Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit

Während man den Bauern nun mit strafrechtlicher Verfolgung droht, weil Hunderte von ihnen einen Minister nicht hatten von Bord gehen lassen, geben sich Politik und Justiz ratlos und machtlos beim Vorgehen gegen Klimakleber, wo einige wenige sogenannte Aktivisten Hunderte von Arbeitnehmern auf dem Weg zur Arbeit blockieren. Gegen die Aktivisten der Letzten Generation sind allein in Berlin bisher rund 3.428 Anzeigen eingegangen, „seit Juni 2023 seien nur elf Urteile gefällt worden“ (2), berichtete die Zeitung Welt am Sonntag (WamS).

Die unterschiedliche Behandlung kann nicht allein mit Justizversagen begründet werden. Immer wieder gerade in Berlin war auffällig, wie sehr die Klimakleber moralisch besonders von den Grünen unterstützt wurden. Man hatte in den Senatskreisen der rot-rot-grünen Vorgängerregierung sehr viel Sympathie und Verständnis für die Aktionen der Umweltaktivisten. Das hat seine Gründe. Sie sind Fleisch vom eigenen Fleische.

Andere Nationen mit Werten des Westens missionieren

Der politische Westen ist werteorientiert. Darin versucht er sich von den sogenannten Autokratien abzuheben und für sich die Berechtigung in Anspruch zu nehmen, andere Nationen mit seinen Werten missionieren zu dürfen. Neben Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und all den anderen sogenannten westlichen Werten gehört dazu auch der Kampf für das Klima. Dieser Kampf ist inzwischen zu einer der Kernmarken des politischen Westens geworden.

Dementsprechend nachgiebig ist man gerade gegenüber den Verfechtern im Kampf gegen den Klimawandel. Diese kann man doch nicht als Vertreter der eigenen Werte mit ähnlich harten Bandagen anfassen wie die Bauern, die doch nicht für Werte kämpfen sondern nur für ihre wirtschaftlichen Interessen. Das ist besonders im intellektuell ausgerichteten Westen belanglos, ja fast verachtenswürdig. Interessen, erst recht wirtschaftliche, werden weitgehend herablassend behandelt.

Nur wer studiert hat, genießt Ansehen in der Gesellschaft

Beim westlichen Führungspersonal zählt eigentlich nur Überlegenheit, und das ist alles, was mit Intellekt, Wissenschaft, Bildung und Geistesgröße zu tun hat. Sie sind die Grundlage des eigenen Überlegenheitsgefühls. Die meisten Eltern hierzulande wollen, dass ihre Kinder studieren. Handwerk und Handarbeit gelten als unbedeutend. Nur wer studiert hat, genießt Ansehen in der Gesellschaft. Der umständlichste Akademiker genießt höheres Ansehen als ein geschickter und erfolgreicher Handwerker.

Und nun kommen da einige Bauern daher, und bringen dieses wunderbare gesellschaftliche Modell durcheinander. Sie, in Verbindung mit all den anderen Handarbeitern, die man in den letzten Jahren und Jahrzehnten kaum noch wahrgenommen hat, die man schon ganz vergessen hat, sie bringen nun all diese Überlegenheitsgefühle zum Einsturz. Sie zeigen, wozu sie in der Lage sind. Ohne langwierige Diskussionen und Theoriestreit stellen sie in kurzer Zeit eine kraftvolle Bewegung auf die Beine, die alles ins Wanken bringt. Sie sind nicht Fleisch vom eigenen Fleische. Sie sind aus einer anderen, einer fremden Welt.

QUELLEN

(1) https://web.de/magazine/politik/bundesregierung-habeck-blockade-bauern-beschaemend-39030890
(2) https://test.rtde.tech/inland/191955-nur-elf-urteile-gefaellt-berlin-stampf-blitz-verfahren-gegen-klimakleber-nach-nur-sechs-monaten-ein/

DER AUTOR

Rüdiger Rauls – Geboren 1952 in Trier. Gelernter Reprofotograf und jahrelang selbständig als Inhaber von Nachhilfe-Instituten in der Region Trier und Luxemburg. Jetzt Rentner, zudem weiterhin tätig als Buchautor, Vortragsredner und Journalist mit den Schwerpunkten Politik, Soziales und Wirtschaft unter anderem für Sachwert Magazin, KenFM, Linke Zeitung, Rubikon, Contra-Magazin, Deutscher Freidenker Verband, scharf-links, Sputnik, RT, Ständige Publikumskonferenz, The Intelligence und andere. Buchveröffentlichungen: Wie funktioniert Geld?; Kolonie Konzern Krieg – Stationen kapitalistischer Entwicklung; Zukunft Sozialismus oder die Grenzen des Kapitalismus; Die Entwicklung der frühen Gesellschaften – Die Geschichte Afghanistans; Was braucht mein Kind?; Späte Wahrheit (Prosa).
Der Artikel „Wut gegen Bauern“ von Rüdiger Rauls erschien auf dem Blog Politische Analyse am 10. Januar 2024. Wir danken herzlich für die Erlaubnis, einige Abschnitte des Textes auf unserer Webseite verbreiten zu dürfen. — Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Vereins wieder und werden hier als Diskussionsbeitrag veröffentlicht.

 

 

 

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