Satire oder Straftat? Hintergründe und Bedenken zum Fall Oliver Janich

Oliver Janich bei einem Interview im August 2021 — Foto: Screenshot

Die Frage nach der Wahrheit ist die Frage nach dem Kontext

„An die Wand stellen“, „hinrichten“, „erschießen“ – drei unkorrekte Aussagen, aber nur einmal klicken Handschellen

Von Ralf Schutt. — Dresden, 13. Oktober 2022

Haben Sie etwas Zeit für die Wahrheit? Denn die Wahrheit ist in Schlagzeilen und verkürzten Zitaten nicht zu erkennen, wenn man den Kontext unterschlägt. Wir sehen an einem Beispiel, wie man etwas bastelt, das von der Wahrheit ein ganzes Stück entfernt ist. Man sollte also die ganze Geschichte ausgraben.

Wer die Wahrheit verdreht und unkenntlich macht, den können wir beim Namen nennen: es sind mal wieder die bösen Buben von den Mainstreammedien.

Und natürlich braucht unsere Geschichte einen Helden. Nennen wir ihn Oliver Janich, den libertären Buchautor und Journalist. Er ist als Regierungskritiker nicht zimperlich, aber wir wollen sehen, ob wenigstens gleiches Recht für alle gilt.

Nun können wir loslegen:

Nehmen wir an, wir hätten irgendwo den Namen Oliver Janich aufgeschnappt und wollten wissen, was das für ein Typ ist. Nichts leichter als das: schauen wir in Wikipedia nach. Neben ein paar Daten und diffamierenden Etiketten lesen wir:

Der 2015 auf die Philippinen ausgewanderte Janich wurde am 17. August 2022 dort auf Grundlage eines deutschen Haftbefehls wegen Beleidigung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten verhaftet. […] Am 17. August 2022 wurde Janich auf den Phillippinen verhaftet, wohin er 2015 ausgewandert war. Er lebt dort auf der Insel Tablas. Die dortigen Behörden ermitteln wegen einer Straftat vor Ort, während gleichzeitig seit April 2022 auch ein durch das Amtsgericht München ausgestellter deutscher Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Janich wird beschuldigt, auf seinem Telegram-Kanal, der 150.000 Abonnenten hat, Personen beleidigt sowie zur Hinrichtung von Prominenten und zur Tötung verschiedener Regierungsmitglieder auf Bundes- und Länderebene in der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen zu haben. (Quelle)

Die Fußnoten zu diesen Sätzen verweisen auf Berichte im Spiegel und im Stern sowie eine Twitter-Nachricht, die einen TV-Bericht zur Festnahme verlinkt.

Die Beschuldigungen sind ja harter Tobak, deshalb wollen wir doch wissen, was Oliver Janich – nun in Handschellen abgeführt und in eine Zelle verbracht – konkret gesagt oder geschrieben hat.

Hunderte Zeitungsberichte wissen das ganz genau, denn schon in den Überschriften wie „Hass und Hetze per App: Wie der Staat jetzt auf Telegram reagieren kann“ im Tagesspiegel vom 15. Dezember 2021 wird der Leser nicht informiert, sondern auf einen Pfad geführt. Um bei diesem Beispiel zu bleiben, aber, wie gesagt, es sind Hunderte, steht als Beleg für „Hass und Hetze“ der Satz:

Der Verschwörungsideologe Oliver Janich fantasiert davon, „sämtliche Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern standrechtlich hinzurichten“. (Quelle)

Es wird zitiert, aber eben nur ein Teil einer Aussage. Was hat er denn wirklich gesagt, wie ist denn der Kontext?

Und da wird es interessant.

Die Zeitschrift compact-online.de läßt Janichs Anwalt zu Wort kommen, und das nicht nur mit einem Bruchstück, einem Fetzen, sondern ausführlich. Rechtsanwalt Markus Roscher hat eine Haftbeschwerde eingelegt. Die Begründung läßt uns ein Licht aufgehen.

Zunächst gibt RA Roscher den kompletten Wortlaut von Janichs Passage wieder, also das, was wir in den Mainstreammedien vergeblich gesucht haben:

„+++ Eilmeldung: Ein Gutachten, das für das Bundesinnenministerium erstellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass es nicht nur zulässig, sondern in der aktuellen Situation sogar geboten sei, sämtliche Regierungsmitglieder im Bund und in den Ländern standrechtlich hinzurichten. Die Gutachter begründen dies mit der ,Schutzpflicht’ des Staates für seine Bürger. +++“

Und RA Roscher schreibt weiter, bei dem Vorwurf …

»… hat mein Mandant in satirisch-übersteigerter Weise auf eine Eilmeldung des Focus reagiert, in dem er dessen Wortwahl nutzte, um auf die großen – aus seiner Sicht lebensbedrohenden – Konsequenzen von (Pflicht)-Impfungen hinzuweisen.

In der Focus-Meldung hieß es wie folgt:

„Die juristischen Gutachter werten eine allgemeine Impfpflicht nicht nur als zulässig – sie sei in der aktuellen Situation sogar geboten. Zwar seien mit ihm Eingriffe in Freiheitsgrundrechte verbunden … Dieses beinhalte eine Schutzpflicht des Staates für seine Bürger.“

Es handelt sich somit um die satirische „Verballhornung“ des betreffenden Focus-Artikels durch meinen Mandanten, als er die durch Gutachten gerechtfertigten Impf-Maßnahmen gleichsetzte mit „Todesurteilen“, die ebenfalls durch Gutachten als gut befunden werden könnten.

Die Meinungsfreiheit nach Art 5 des Grundgesetzes umfasst eine derartige (drastisch überzogene) Einschätzung. Es ist schon fast boshaft von der Staatsanwaltschaft, die als direkte Reaktion auf die Focus-Meldung erkennbare Äußerung meines Mandanten, als ernstgemeinte Aufforderung an Dritte zu verstehen, Exekutionen durchzuführen, und dies derart aus dem Kontext zu reißen, um einen entsprechenden Vorwurf zu konstruieren.

Auf Telegram kann man auf eigene Posts antworten. Es war also eindeutig ersichtlich, dass sich Herr Janich auf den Focus-Artikel bezog. Es war erkennbar, dass mein Mandant die Tatsache, dass es ein Expertengutachten gab, noch lange nicht als Indiz dafür ansehen wollte, dass hier dadurch Unrecht zu Recht wird. Mithin handelt es sich bei der Äußerung von Herrn Janich denklogisch auch um eine Kritik, sowohl an Expertengutachten, als auch an standrechtlichen Erschießungen. Der Post sagt also das exakte Gegenteil dessen, was ihm unterstellt wird.« (Quelle)

Soweit Rechtsanwalt Markus Roscher. Selbst als juristischer Laie kann man vermuten, dass die Anklage auf ziemlich dünnem Eis steht. Wenn ein Gericht in einem fairen Verfahren anerkennt, dass der Telegram-Post von Oliver Janich keine ernstgemeinte Gewaltandrohung ausdrückt. Janich hat also nicht „fantasiert“, wie der Tagesspiegel schreibt, sondern sich auf einen Focus-Artikel bezogen und satirisch zuspitzt.

Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung zieht der Satire einen weiten Rahmen:

Die Satire muss ihr Ziel mit Bedacht wählen. Doch erlaubt ist (auch), was nicht gefällt, denn Satire ist nicht einfach nur Komik und Parodie, sondern immer auch Angriff und Mittel der Kritik. Sie lebt von Verzerrung und Übertreibung. Der Satiriker „kann nicht wägen – er muss schlagen“, schrieb Kurt Tucholsky 1919 in „Fromme Gesänge“. Das gilt nach wie vor: Satire soll und muss treffen, wenn sie gut sein soll. Sie braucht die Provokation, die Ungerechtigkeit, das Überspitzen und Übertreiben bis hin zum Tabubruch. Satire ohne Biss ist keine! (Quelle)

Also: Freispruch für den Angeklagten! Oder wenigstens: Gleiches Recht für alle!

Exkurs: „Reiche erschießen“

Sandra L. aus dem Berliner Landesverband der LINKEN sagte auf einer Strategiekonferenz in Kassel im März 2020: „Und auch wenn wir das ein Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen.“ Nach Gelächter und Beifall versucht der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, die Peinlichkeit der offenen Gewaltandrohung herunterzuspielen: „Ich wollt‘ noch sagen, wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“ (Quelle)

Wurde Sandra L. deswegen verhaftet und in eine Zelle verbracht?

Exkurs: Politiker „an die Wand stellen“

Im Dezember 2019 hatte Greta Thunberg in einer Rede in Turin Politikern vorgeworfen, vor ihrer Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel davonzulaufen. Dabei verwendete sie auch die Formulierung „sie an die Wand stellen“. Später entschuldigte sie sich dafür – es handele sich dabei um ein sprachliches Missverständnis. (Quelle)

Wurde Greta Thunberg deswegen in ihrer Wohnung von Polizisten überwältigt und auf den Boden geworfen?

DER AUTOR

Ralf Schutt ist Vorstandsmitglied des Hayek-Vereins.

 

 

 

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