SLIDERGALERIE №20: Jörg Schneidereit

— Foto: Privat

Von Winter, Kälte – und Zuflucht

Schönheit, Glück und Freiheit sind stets gegenwärtig

Von Jörg Schneidereit. — Ziegenhain, 21. Dezember 2021

Unaufhaltsam und im Eiltempo wandelt sich gerade vor unser aller Augen unsere vertraute Welt in eine andere. Was vor zwei Jahren noch unumstößlich galt, scheint heute verblaßt – und wirkt wie aus Erzählungen einer längst vergangenen Epoche. Noch im Dezember 2020, als wir auf ein besseres Jahr und ein hundertprozentiges Ende dieses Corona-Wahns anstießen, glaubten wir felsenfest daran, daß 2021 all dieser Irrsinn zu Ende sei und sich die Welt wieder in rationalen und von Vernunft geprägten Bahnen bewegt.

Wer hätte gedacht, wie sehr man sich irren kann. Längst hat sich Welle um Welle dieses Wahns verselbständigt für dessen Eindämmung das jedem geläufige „Wehret den Anfängen“ so immens notwendig gewesen wäre – jedoch längst obsolet geworden ist. In einem noch fernen Später, wenn sich wieder einmal niemand mehr vorzustellen vermag, „wie es damals so weit kommen konnte“, wird man sich nicht mehr erinnern können, wie damals alles erneut begann.

In meinem Innersten war und bin ich stets und seit jeher ein hoffnungsvoller Mensch. Doch wenn ich heute unser Land, unseren Kontinent und unsere gesamte Ära betrachte, dann deuten alle Anzeichen, vage sowie offenkundig, darauf hin, daß dies nur der Beginn einer, für uns alle kommenden, sehr dunklen Epoche ist. Alles um mich wird täglich lauter, extremer, brutaler und brachialer. Die gehorsame, von Angst und Unterwürfigkeit zerfressene, tief gespaltene Volksmasse, die auch noch die absurdeste, groteskeste Maßnahme dieses krakenhaft agierenden Willkürstaates kritiklos und freiwillig glaubt und exekutiert, flößt freiheitlich denkenden Menschen wie mir und meinen Seelenverwandten schieres Grauen vor dem daraus Erwachsenden ein. Schreibend und rufend drängt es mich, einen emotionalen Nachruf auf eine freiheitliche Epoche zu verfassen, die gerade mit eiskaltem, besessenen Kalkül von ihren treibenden Protagonisten unwiderruflich ruiniert und in den verbliebenen Lebensjahren meiner Generation niemals wiederkehren wird.

Ahnungen und Prophezeiungen erfüllen sich

Diskurs, Vernunft und Kompromiß sind längst abgelegte Tugenden. Heute herrschen tagtäglich Mißtrauen, Spaltung, Verleumdung und blanker Hass; morgen schon sind wir womöglich von Diktatur und vielleicht Krieg umgeben. Alle Ahnungen und Prophezeiungen der letzten Monate erfüllen sich gerade in einer solchen Vollständigkeit und Präzision, daß bei einem sensitiven Wesen der Fluchtinstinkt einsetzt. Doch wo sollen wir hin? Welcher Ort bietet uns noch Zuflucht?

Bei mir findet seit geraumer Zeit eine Flucht nach innen statt. Oft schrieb ich, daß ich mehr und mehr die Menschen meide und meine Ruhe in der Einsamkeit der Natur suche.

„(...) Ich meide die Menschen, geh stattdessen allein
Hinaus in die Vertrautheit der Hügel und Auen
Hier bin ich für mich, nirgends sonst will ich sein
Und auf nichts mehr als dieses stille Versprechen vertrauen.“

Zu weit verloren das Vertrauen

Wenn ich irgend kann, verfahre ich wie in diesen gereimten Zeilen beschrieben. Alle gegenwärtigen, täglichen, realen Erlebnisse werden heftiger, trauriger und erschütternder. Zu tief sind inzwischen die zugefügten Verletzungen, zu weit verloren das Vertrauen, zu abgeklärt die eigene Weltsicht als Konsequenz der Erfahrung.

Doch ist man ganz mit sich allein, draußen in der Weite, verstummt der Wahn – und alles wird still. Nun ist der Winter hier – man kann ihn fühlen, riechen und schmecken. Anders wirkt sie jetzt, die einst farbige Welt – nun eisgrau und fahl, unter einer tiefen, blassen Dezembersonne, die nur noch unter Mühen vermag, ihre schwachen Strahlen durch die kalten Nebelschwaden zu schicken. Die Zeit der Wintersonnenwende zwingt die Natur in Schlaf und Schweigen. Die Tage sind kurz, umso länger die Nächte, die mit dunklen Eisesfingern den letzten Lebenshauch aus Feld und Flur rauben. Läßt man jedoch für ein paar Stunden die Wärme der heimischen Räume hinter sich und begibt sich hinaus in die Weite, dann sind auch diese Tage des sterbenden Jahres ein kostbares Geschenk.

Draußen unter dem Himmel erträglich

Laufen, schauen und aufsaugen. Bizarr und kontrastreich recken schlafende Bäume ihr schwarzes, mit gläsernem Reif überhauchtes Geäst in das schwindende Tageslicht. Lange, bläuliche Schatten, fremdartig schön, durchbrechen die vereisten Auen der vertrauten Gegend. Der Blick des scheuen Rehs im Schutz des Waldrandes streift den meinen. Vertraut ist der Ruf des Bussards am Tag und der des Käuzchens bei Nacht. Vertraut ist der Duft des Holzfeuers, der aus dem Tal zu mir aufsteigt.

Manchmal ist es nur noch hier draußen unter dem Himmel erträglich. Manchmal bedarf es wenig – und manchmal ist dieses Wenige die beste Erdung, um den Halt in dieser Welt nicht zu verlieren. Diese kostbaren Momente, jenseits von Wahn und politischem Treiben. Wir alle brauchen Momente und Plätze wie diese. Wir brauchen den endlosen, alles überspannenden Himmel um klar und ohne Grenzen denken zu können – wir brauchen ihn schlichtweg, um überhaupt zu leben. Nichts kann dies je ersetzen. Schönheit, Glück und Freiheit sind stets gegenwärtig – auch wenn sie in diesen finsteren Zeiten gern den Schutz des Verborgenen suchen. Auch in der Finsternis verbirgt sich Licht, heißt es. Es sind diese stillen, nachdenklichen, winterlichen Tage, an denen ich mich auf diese wesentlichen Grundwahrheiten besinne.

Wohin führt uns diese Zeit?

Wohin führt uns dieser eingeschlagene Pfad? Wohin führt uns diese Zeit? Werden wir schon bald wieder kämpfen müssen, für alles, was uns lieb, wert und teuer ist? Für das Licht, für unsere Liebsten, um unser Leben und für unsere Freiheit? Vieles deutet darauf hin, fast alles fühlt sich inzwischen danach an. Bereiten wir uns also innerlich darauf vor. Suchen wir Halt in Vertrautem – in Schönem, Wahrem und Gutem. Verzagen wir nicht.

Trotz aller Sorgen wünsche ich uns allen von Herzen ein helleres, kommendes Jahr, als es die letzten für uns waren. All jenen Sehenden und Fühlenden, die aus dem banalen Werden und Vergehen des gewohnten Kreislaufs des Jahres noch Vertrautheit, Kraft und Mut zu schöpfen imstande sind, widme ich diese Bilder des Winters – entstanden an Orten, die mir Heimat bedeuten.

DER AUTOR

Jörg Schneidereit ist Europäer, Deutscher, Thüringer, Jenenser (sic!). Er wurde als „Achtundsechziger“ im winterlichen Jena geboren; dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Regimekritischer Widerspruchsgeist verwehrte ihm im DDR-Zeitalter akademische Qualifikationen. Ausbildung bei „Carl Zeiss“ in Jena, im väterlichen Feinmechanik-Handwerksbetrieb sowie bei einem „Carl-Zeiss“-Konstrukteur. Autodidaktisches Erlernen der Fotografie, diverse Ausstellungen. Freie journalistische Arbeit für Magazine und Zeitungen. Mitarbeit und öffentliche Vorträge zu astronomischen Themen an Sternwarten in Jena und Frankfurt am Main. Sonnenfinsternis-Expeditionen. Autodidaktisches Erarbeiten von Goldschmiede- und Gießtechniken, freiberuflicher Schmuckdesigner mit Ausstellungen und Verkauf in Deutschland, England und Irland. Erwerb der Ruine und Restaurierung des Nationaldenkmals „Grantstown Castle“ in Tipperary, Irland, sowie Konzeption und Bau von drei Fachwerkhäusern in mittelalterlicher Konstruktion. Lebte von 2004 bis 2010 in Irland. Rückkehr nach Jena und Erwerb der Ruine des Einzeldenkmals „Edelhof Ziegenhain“ und Restaurierung als Wohnhaus, Werkstatt und Lebensmittelpunkt.
Prioritäten: Reisen ohne festes Ziel; Schreiben; Astronomie; Luft-, Raum-, und Seefahrt; historische Architektur und Ornamentik; Philosophie; Etymologie; Musik diverser Epochen und Kulturen; Stil statt Mode; Individualität statt Herde; Widerstand gegen politische Lüge, ideologische und religiöse Dogmen, sowie gegen die Zerstörung des Individuums und der freien Gesellschaft. Von Herzen der Freiheit, dem Schönen, Wahrhaftigen, Guten und Echten verpflichtet. Weder religiös noch (aber-)gläubig – dennoch in Bewußtsein und Demut das eigene Selbst als untrennbaren Teil der Erhabenheit und Unendlichkeit des Kosmos begreifend und spirituell empfindend.

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