Vortrag mit Dr. Schwidop: „Der Brexit aus der Sicht eines Dissidenten“

Dr. Wolf-Dieter Schwidop (im Bild oben links): „Was Gott durch viel Wasser getrennt hat, sollte der Mensch nicht durch Verträge verbinden.“ — Fotos: Andreas Deicke

Aus Stasi-Haft ins grüne Wales

Über politische Freiheit und Gründe zum Auswandern

Aus unserer Redaktion nach Notizen von Andreas Deicke. — Dresden, 13. November 2019

„Der Brexit aus der Sicht eines Dissidenten“ – das war das Thema unseres gut besuchten Vortragsabends Anfang November. Wir durften Dr. rer. nat. Wolf-Dieter Schwidop begrüßen, der über seine neue Heimat Wales, über die Vorgänge rund um den Brexit und über seine Hilfe für Auswanderer berichtete.

Schwidop studierte Biochemie, gründete in Leipzig ein Umweltlabor und entwickelte ein Wasseraufbereitungsgerät. Seine erste kleine Firma hatte aber keinen geschäftlichen Erfolg, so dass er danach an Berufsschulen lehrte. Er bezeichnet sich als Vollblut-Unternehmer; deshalb meint der 64-Jährige, dass er sich nie als Rentner zur Ruhe setzen wird.

Über Schwidop sagt man, dass er die ganze Welt kennt. Und so widmet er sich dem Programm „Change your country“, von dem er scherzhaft sagt, es schleppe Leute aus Deutschland raus und nicht rein, wobei das Zielland freiwillig gewählt wird – zum Beispiel Paraguay.

Wolf-Dieter Schwidop hat während der DDR-Jahre selbst in Stasi-Haft gesessen. Im gegenwärtigen Deutschland hatte er so markante Déjà-vu-Erlebnisse, dass er sich entschloss auszuwandern. Schwidop wohnt seit 2009 in Süd Wales und kennt und schätzt die britische Mentalität der verschiedenen Regionen des Königreichs.

Brexit, Remain und Deal or No Deal

Wolf-Dieter Schwidop stellte ausführlich die etwas andere Demokratie Großbritanniens vor. Er erklärte die Geschichte der EU und Großbritanniens, die Gründung der UKIP und die verschiedenen Abstimmungen und Begriffe Brexit, Remain und Deal or No Deal. Hier einige Stichworte seines Vortrags:

1963 scheiterte der Beitritt von UK an Frankreich unter Charles de Gaulle.

1973 kam es zum Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft.

1975 bereits ein Referendum. Schottland wählt meist das Gegenteil von dem, was die Engländer wählen.

1984 Prime Minister Margret Thatcher kürzt die Beiträge an die EG von 20 auf 12 Prozent. Grund war, dass die Landwirtschaftssubventionen nach der Anzahl der Agrarbetriebe vergeben wurden, nicht nach Größe. Thatcher drohte auch schon mit Austritt.

1993 Maastricht-Vertrag, die EG wird zur EU, von einer Handelsgemeinschaft zu immer stärkeren politischen Integration.

Ein Abgeordneter aus jedem Wahlkreis

1999 BSE-Skandal – Verbot der Einfuhr von Rindfleisch aus GB in die restliche EU, das ein immenser Schaden für die weitverbreitete britische Landwirtschaft war, Frankreich hat das Verbot lange aufrechterhalten.

2007 Scheitern des Lissabon-Vertrags.

2013 Cameron (Torry) wollte die EU-Mitgliedschaft reformieren.

2013 Unabhängigkeitsbewegung UKIP wurde gegründet, sie spielt aber heute keine Rolle mehr aus verschiedenen Gründen. Die meisten Anhänger, einschließlich Nigel Farage, sind zur 2019 gegründeten Brexit-Partei gewechselt.

23. Juni 2016 Referendum zur weiteren EU Mitgliedschaft: 52 Prozent stimmen für den Brexit, das war außerparlamentarisch organisiert. Im Unterhaus sitzt immer nur ein Abgeordneter aus jedem Wahlkreis – der Gewinner des Wahlkreises. Damit hat der Gewählte viel Verantwortung.

Nordirland – Einheit und Spannungen

Wales wählt anders als England, Schottland wählt grundsätzlich das Gegenteil wie England. Schottland ist sehr nationalistisch eingestellt. Die Nordiren sind eher an einer Einheit interessiert, da befürchtet wird, dass in Belfast die Spannungen wieder aufleben könnten.

EU-Gesetze werden traditionell im Vereinigten Königreich oft ignoriert. In GB kann man grundsätzlich alles machen, was nicht verboten ist, während man in Deutschland erstmal eine Genehmigung braucht.

Am 29. März 2017 begann eine 2-jährige Verhandlungszeit, strittig war der „Backstop“, also die Grenze in Irland soll offenbleiben, eine Zollgrenze ist sehr strittig.

Der Brexit-Party gelang 2019 ein Erdrutsch-Sieg zur Wahl des EU-Parlaments. Wolf-Dieter Schwidop schilderte seine Eindrücke von Wahlkampfveranstaltungen. Unterschiedlichste Leute gingen zu Veranstaltungen für den Brexit, Nigel Farage wurde gefeiert wie ein Popstar. Eine britische Besonderheit ist, dass die Parteien traditionell ein Eintrittsgeld für Wahlveranstaltungen nehmen.

Boris Johnson wurde durch das EU-Wahlergebnis unter Druck gesetzt, den Austritt zu liefern. Auch Labour verliert schon extrem viel an die Brexit-Party. Wir werden sehen, wie sich die Ereignisse entwickeln.

Trading und Freihandelszonen

Nach dem einstündigen Vortrag war Wolf-Dieter Schwidop gern bereit zu einer Fragerunde:

Was will eigentlich Corbyn? (Eigentlich hat er gar keine Linie und schwankt, das liegt aber auch an wirtschaftlichen Umbrüchen, wie z.B. Wales von bergbaulich und industriell geprägten zu Dienstleistungswirtschaft.)

Worum geht es beim Brexit? (Die meisten wollen eigentlich gar keinen Deal, sie wollen Freiheit.)

Wie geht es mit den Währungen weiter? (Eventuell entwickelt sich das Pfund zum sicheren Hafen im Gegensatz zum Euro.)

Gibt es Zockertipps? (Beim Trading das Gegenteil machen, was die Deutsche Börse als Trading-Empfehlung gibt.)

Was beinhaltet eigentlich der Deal? (Dass bestimmte Dinge wirtschaftlich geregelt bleiben und wie die Summe der Restzahlung von 39 Milliarden Euro aufgeteilt wird.)

Wie können Freihandelszonen genutzt werden? (Die Isle of Man haben bestimmte Funktionen als sog. Offshore Residencies, also nominelle Firmensitze von Briefkastenfirmen. Ein Konto in Großbritanien ist ohne Adresse möglich. Das Schliessfach-Geschäft boomt.)

Staatsrecht und Handelsrecht

Ist der Lissabon-Vertrag eine umgeschriebene EU-Verfassung? (Völkerrechtlich bedenklich, da der Souverän, also der Bürger, nicht abstimmen durfte. Man kann aus einer Freihandelszone keine Staatsgebilde machen.)

Was wird aus der EU? (Der Mittelstand erodiert wegen fehlender Planungssicherheit. Das europäische [römische] Staatsrecht wird immer mehr vom [amerikanischen] Handelsrecht verdrängt.)

Was heisst der Brexit für uns? (Mehr zahlen, das steht fest. Und die Oliven-Staaten haben die Mehrheit in der EU. Die EU betreibt Ergebnisverhinderung aus Selbsterhaltung. GB hat noch das Commonwealth und ist finanzpolitisch diversifizierter als die EU. Trump hat mit Farage ausführlich gesprochen.)

Dauert der Brexit länger als der Berliner Flughafen? Was passiert nach dem Brexit mit Ausländern in GB? (Man kann sich vor-registrieren lassen und zwei Jahre lang in GB leben.)

Und eine Einladung nach Wales

Wie ist das Leben in Wales? (Man braucht keinen Notarvertrag für den Kauf von Immobilien, geht sofort cash über einen Makler. Straßenbau besser in Wales als in Deutschland. Die Kommunalsteuer richtet sich nach Gegend und wieviel Leute in dem Haushalt wohnen. Kommunalsteuern sind regionaler.)

Das scherzhafte Resumee von Schwidop zum Brexit lautet: „Was Gott durch viel Wasser getrennt hat, sollte der Mensch nicht durch Verträge verbinden.“

Mit einer Einladung nach Wales klang der Abend aus. Wer selbst die offene Mentalität der Waliser erleben möchte, kann bei Wolf-Dieter Schwidop auch ein Gästezimmer mieten – mit herrlichem Blick über einige Meilen der grünen Insel.

CHANGE YOUR COUNTRY LTD

Dr. Schwidop möchte uns seinen Dank für das zahlreiche Erscheinen, die freundliche Aufnahme und die interessante Diskussion ausdrücken. Wir möchten gern auf sein Angebot hinweisen. Über den Link https://changeyourcountry.net/angebote/ kann man sich über die CHANGE YOUR COUNTRY LTD informieren. Teilnehmer unserer Veranstaltung können dabei attraktive Konditionen nutzen.

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