Was verbindet den Fahrzeugbauer MAN und die Ölplattform Brent Spar?

MAN-Fahrzeuge kennt jeder. — Foto: MAN-Pressematerial

Diesel-Lkw werden zum Auslaufmodell

Klimaschutz, Klimaschutz … MAN scheitert an Klimavorgaben

Was haben der Fahrzeugbauer MAN und die Ölplattform Brent Spar miteinander zu tun? Wir tauchen ein bisschen in die Geschichte ein, weil die Antwort helfen könnte, eine aktuelle Pressemeldung einzuordnen. Denn MAN will sich unter dem Druck von EU-Klimavorgaben „radikal neu aufstellen und ein Viertel der Arbeitsplätze streichen“.

Von Ralf Schutt. — Dresden, 12. November 2020

Die Wurzeln des heutigen MAN-Konzerns liegen einerseits im Ruhrgebiet und andererseits in Süddeutschland. Sie reichen zurück bis ins Jahr 1758 zum ältesten Vorläufer-Unternehmen, der Eisenhütte St. Antony in Oberhausen. Während der Schwerpunkt im Ruhrgebiet vor allem auf dem Erzabbau und der Eisenproduktion lag, wurde in Augsburg und Nürnberg der Maschinenbau und im MAN Werk Gustavsburg ab 1859 der Brücken- und Stahlbau zum dominierenden Geschäftszweig. Bereits 1913 war aus einem Betrieb mit 400 Beschäftigten ein Großunternehmen mit 12.000 Arbeitern geworden.

Das Kürzel MAN verweist also auf die lange Tradition der ehemaligen Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg. 2013 wurde jedoch das Ende der Eigenständigkeit von MAN als Unternehmen besiegelt, denn die Volkswagen AG übernahm die Aktienmehrheit. Heute gehört MAN zu fast 95 Prozent zu Volkswagen. Die Marke MAN existiert weiter als börsennotierter Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern mit Sitz in München. So ist MAN Truck & Bus Deutschland 2019 mit fast einem Drittel Marktanteil der erfolgreichste Lkw-Produzent.

Kleiner Exkurs: Eine Ölplattform und der Druck von NGOs und Medien

Um zu verstehen, was nun aktuell und in den vergangenen Jahren mit MAN passiert ist, muss man ins Jahr 1995 zurückgehen und noch eine andere Geschichte einbeziehen. In diesem Jahr 1995 tauchte nämlich in allen Medien der Name Brent Spar auf und wurde bald zum Synonym für Umweltverbrechen der Öl-Multis. Brent Spar war im Besitz von Shell und Esso und diente von 1976 bis 1991 in der Nordsee als schwimmender Öltank. Es war damals durchaus üblich, Industrieschrott im Meer zu versenken. So sollte auch die abgewrackte, 14.500 Tonnen schwere Plattform Brent Spar im Atlantik versenkt werden, wo sich Mollusken, Muscheln und das salzige Meerwasser dem rostigen Eisen gewidmet hätten.

Am 30. April 1995 wurde die Plattform von Greenpeace-Aktivisten besetzt, um die Versenkung zu verhindern und gegen diese Art der billigen Entsorgung zu protestieren. Die Umweltschutzorganisation wollte, dass Industrieschrott an Land recycelt werden sollte.

Greenpeace kritisierte, dass sich an Bord der Brent Spar noch 100 Tonnen giftiger Ölrückstände befänden. Diese Zahl wurde auch von Shell akzeptiert und auch später von einem Prüfungsbericht der norwegischen Schiffsklassifizierungsgesellschaft DNV bestätigt. Greenpeace behauptete jedoch Mitte Juni 1995, nachdem die Medien bereits auf die Kampagne aufmerksam geworden waren, dass eine Gefahr von 5.500 Tonnen Giftschlamm ausgehe. Eine Übertreibung, eine Lüge.

Die Besetzung der Plattform und die Skandalisierung eines zu erwartenden Umweltschadens erregte aber eine große mediale Aufmerksamkeit. Es gab Boykottaufrufe, die großes Echo in den Medien und der Bevölkerung fanden, vor allem in den Niederlanden, Dänemark und Deutschland. Auch einige deutsche Behörden ließen ihre Autos nicht mehr bei Shell tanken. Daraufhin sanken die Umsätze der deutschen Shell-Tankstellen um bis zu 50 Prozent. In Hamburg wurde ein Brandanschlag auf eine Shell-Tankstelle verübt.

Durch eine Medienkampagne am Rand des Abgrunds

Man kann sich leicht vorstellen, dass nicht nur den Shell-Managern der Schrecken in die Glieder gefahren ist. Sie mussten feststellen, dass eine von einer Nichtregierungsorganisation losgetretene Medienkampagne ihren gesamten Konzern an den Rand des Abgrunds bringen konnte. Man kann also durchaus die These wagen, dass das Jahr 1995 und der Name Brent Spar für alle Konzernlenker und Manager auch anderer Branchen zu einem Schlüsselerlebnis wurde: Verdirb es dir nicht mit den mächtigen NGOs! Vermeide es, in den Fokus der industrie-skeptischen Presse zu kommen! Sorge mit allen Mitteln für ein grünes Mäntelchen aller deiner wirtschaftlichen Aktivitäten! Sprich die Sprache deiner Gegner, sende unaufhörlich Botschaften der Unterwerfung aus!

Wie ging es mit der alten Ölplattform zu Ende? Brent Spar wurde nach 1998 rückgebaut und mit Kosten von 70 Millionen DM verschrottet. Meeresforscher wiesen später darauf hin, dass in vielen Gebieten natürlicherweise große Mengen an Schwermetallen sowie Rohöl aus heißen Quellen am Meeresboden ausströmen. Gerade dort gedeihe ein reiches Tiefseeleben. Für Mikroorganismen auf dem Meeresboden wäre die Versenkung der Brent Spar also sogar vorteilhaft gewesen. Solche vielschichtigen Fakten interessieren aber nicht während einer medial hochgekochten Kampagne.

Mit diesem Resümee aus dem Exkurs können wir nun wieder zur Geschichte von MAN zurückkehren.

Lektion gelernt: dem grünen Gott Klimaschutz huldigen

Auch die Manager von MAN und Eigentümer Volkswagen hatten die Lektion Brent Spar gelernt. In zahllosen Pressemitteilungen und „Corporate Responsibility-Berichte“ wurde dem grünen Gott Klimaschutz gehuldigt. Eine unvollständige Liste solcher Botschaften lassen sich zu einer beklemmenden Chronik zusammenfassen:

▬ 23.4.2012: „MAN bekennt sich zu klarem Klimaziel. CO2-Ausstoß soll bis 2020 um 25 Prozent verringert werden“

▬ 06.06.2013: „Hauptversammlung 2013: MAN sieht mittelfristig sehr gute Wachstumschancen. Die Fokussierung auf diese Bereiche sei eine logische Folge der Megatrends wie Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, Globalisierung sowie Umwelt- und Klimaschutz.“

▬ 17.10.2014: „MAN weltweit führend beim Klimaschutz. Für das Engagement beim Umweltschutz und gegen den Klimawandel erhält MAN erneut Bestnoten. Das Unternehmen wird in die weltweit bedeutendsten Klimaschutzindizes der Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) aufgenommen.“

▬ 04.11.2015: „MAN setzt erneut Maßstäbe beim Klimaschutz. MAN erhält Bestnoten für Transparenz und Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel und ist erneut mit sehr guten Bewertungen im weltweit bedeutendsten Klimaschutzindex der Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) vertreten.“

▬ 14.07.2017: „MAN veröffentlicht CR-Bericht 2016. Elektromobilität und Klimaschutz im Fokus“

▬ 27.06.2019: „MAN veröffentlicht CR-Bericht 2018. Klimaziel in der Produktion vorzeitig erreicht. Die MAN Gruppe hat ihren Corporate-Responsibility-Bericht 2018 veröffentlicht. Schwerpunkte sind die Themen E-Mobilität, Klimaschutz in der Produktion und freiwilliges Mitarbeiterengagement. Ein Meilenstein im Berichtsjahr ist die vorzeitige Erreichung des Klimaziels in der Produktion: Im Rahmen ihrer Klimastrategie hatte sich die MAN Gruppe das Ziel gesetzt, den CO₂-Ausstoß ihrer Standorte bis 2020 absolut um 25 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2008 zu verringern.“

Die „redlichen Ingenieure“ haben nicht widersprochen

2019, wir erinnern uns, war ein sehr erfolgreiches Jahr für den Lkw-Produzenten und Marktführer MAN. Jahrelang hatte man in vielen Veröffentlichungen den Klimaschutz beschworen, um zu vermeiden, dass sich medialer Druck aufbaut. Die vielen „redlichen Ingenieure“ (Michael Limburg) haben versäumt, den überzogenen Dekarbonisierungsplänen zu widersprechen. Sie haben die mediale Kampagnenmacht wirken lassen und sich aus dem FFF-Getöse rausgehalten. Sie haben den Kopf eingezogen und gehofft, dass der Kelch an ihnen vorbeigeht. Aber andere haben währenddessen wirtschaftsfeindliche Politik gemacht und Grenzwerte beschlossen, die auch den Ingenieuren und ihren Arbeitgebern jetzt zum Verhängnis werden. Nun schlägt eine Pressemeldung des STERN ein wie eine Bombe:

▬ 11.11.2020: „MAN-Betriebsrat: Keine Verhandlungen über «Kahlschlag». Der Diesel-Lastwagen wird nach den Klimavorgaben der EU zum Auslaufmodell. Der Hersteller MAN will das Unternehmen radikal neu aufstellen und ein Viertel der Arbeitsplätze streichen“.

Der STERN schreibt: „Unter dem Druck der EU-Klimavorgaben soll MAN zu einem der «führenden Nutzfahrzeughersteller im Bereich Elektro- und Wasserstoffantriebe» umgebaut werden. Dabei sollen 9.500 der 36.000 Stellen wegfallen – davon etwa 5.600 im Lkw-Werk München, im Dieselmotorenwerk Nürnberg und im Komponentenwerk, Salzgitter. Teile der Produktion sollen ins Ausland verlagert, die Werke Plauen, Wittlich und Steyr in Österreich geschlossen werden.“

Offensichtlich sind nicht die Lkw von MAN nicht gut genug oder zu teuer, sondern man kann die „EU-Klimavorgaben“ nicht mehr einhalten. Lastwagen sollen bis 2025 etwa 15 Prozent und bis 2030 mindestens 30 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen – diese willkürlichen Zahlen hat die EU vorgeschrieben.

Dieselmotoren von MAN haben keine Chance mehr

Die perfekten und leistungsstarken Dieselmotoren von MAN haben keine Chance mehr, wenn sie an illusorischen CO2-Zahlen und immer weiter heruntergeschraubten Grenzwerten gemessen werden. Es geht nicht mehr. Die Ingenieurskunst ist im Kostenrahmen am Limit. Auch die jahrelangen Bekenntnisse zum Klimaschutz haben nicht geholfen.

Der MAN-Vorstand gibt jetzt für „eine notwendige Restrukturierung“ eine neue Losung aus, und die hüllt sich wieder in grüne Floskeln, freilich aktualisiert in der Sprache der 2020er Jahre: „in alternative Antriebe und Digitalisierung investieren“. Jahrzehntelange Erfahrungen im Maschinen- und Dieselmotorenbau sollen wertlos werden. Der Betriebsrat spricht von „Kahlschlag“ und „Abwicklung“. Denn die neuen „Elektro- und Wasserstoffantriebe“ werden nicht von den Kunden gefordert, sondern von der Politik angeordnet. Ob es diese Motoren jemals geben wird, weiß niemand. MAN wird eine Reise ins Ungewisse antreten, denn Elektroantriebe für schwere Lastkraftwagen bräuchten Batterien mit dem Gewicht eines großen Teils der Nutzlast.

Auch der gesamte internationale Schwerlastverkehr auf der Straße müsste umgekrempelt werden, die riesigen Netze von Tankstellen und Parkplätzen, die gesamte ausgefeilte Logistik der Just-in-time-Produktion – alles ungewiss. Nur, dass jetzt schon mal 9.500 Dieselmotoren-Spezialisten für den Klimaschutz auf die Straße gesetzt werden, das ist sicher.

Markt oder Befehl – wie Roland Baader sagte.

DIE QUELLE

STERN: MAN-Betriebsrat: Keine Verhandlungen über «Kahlschlag»

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