Zur Erinnerung an Maria Emanuel Markgraf von Meißen (1926–2012)

Ein Leben für Sachsen
Vor nunmehr zehn Jahren verstarb Maria Emanuel Markgraf von Meißen, Königsenkel und Wettiner Hauschef, im Alter von 86 Jahren im Schweizer Exil.
Von Bert Wawrzinek. — Dresden, 20. Juli 2022
Als die Nachricht am 23. Juli 2012 Dresden erreichte, wußte man auch hier, daß ein Zeitalter unwiderruflich zuende war, mischten sich Trauer und Dankbarkeit, mehr als drei Jahrzehnte an der Seite dieses faszinierenden Mannes gestanden zu haben. Jener blieb gegenwärtig und so vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Erinnerung an den königlichen Herrn, ein Wort, eine Geste, ein Lächeln, freundlich herüberscheint. „Gerade so hätte es der Markgraf wohl auch gesagt“ – beschlossen Worte nicht selten einen Gedanken, ein Gespräch.
Geboren am 31. Januar 1926 als Sohn Markgraf Friedrich Christians (1893–1968) und der Elisabeth Helene Prinzessin von Thurn und Taxis (1903–1976) auf Schloss Prüfening bei Regensburg, verbrachte Maria Emanuel in Bad Wörishofen, Bamberg und Dresden-Wachwitz eine glückliche Kindheit. Unterrichtet wurde der Prinz am Bischöflichen St. Benno-Gymnasium Dresden und dem Jesuiten-Kolleg St. Blasien im Schwarzwald sowie einer Privatschule der königlichen Familie in Dresden-Strehlen. 1943 wurde Maria Emanuel wegen Wehrkraftzersetzung und Hörens ausländischer Rundfunksender verhaftet und blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges politischer Häftling in Potsdam.
Chef des Hauses Wettin, Albertinische Linie
Nicht anders als Millionen Mittel- und Ostdeutsche mußten sich auch die Angehörigen des vormaligen sächsischen Königshauses im Westen Deutschlands eine neue Existenz aufbauen. Nach dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie wirkte Maria Emanuel in München als Graphiker und Kunstmaler. Während eines Schweizaufenthalts lernte er Anastasia-Louise Prinzessin von Anhalt (*1940) kennen, in Vevey gab sich das Paar am 23. Juni 1962 das Jawort. Nachdem Markgraf Friedrich Christian am 9. August 1968 verstorben war, wurde Maria Emanuel Chef des Hauses Wettin, Albertinische Linie. Wie bereits sein Vater, führte auch der neue Hauschef den ältesten Titel der Wettiner „Markgraf von Meißen“, worin der Anspruch auf den sächsischen Thron zum Ausdruck kommt.
Lebenslang fühlte sich Maria Emanuel dem St. Heinrichs-Orden verbunden, jener 1736 von Kurfürst Friedrich August II. gestifteten, höchsten sächsischen und zugleich ältesten deutschen Tapferkeitsauszeichnung. 1959 hatten sich 300 der im Ersten Weltkrieg ausgezeichneten Ordensträger zum „Konvent des Königlich Sächsischen Militär-St. Heinrichs-Ordens“ unter der Großmeisterwürde Markgraf Friedrich Christians zusammengefunden. Um diese Tradition lebendig zu halten, begründete Maria Emanuel den Verein der St. Heinrichs-Nadelträger und den St. Heinrichs Orden e. V. 1963 hatte Markgraf Friedrich Christian die St. Heinrichs-Nadel gestiftet, um Persönlichkeiten zu ehren, die sich in besonderer Weise um die Pflege sächsischer Geschichte und Kultur bemüht haben. Deren Verleihung wurde nun an ausgesuchten Orten vorgenommen, die mit „dem Heinrich“ in historischem Zusammenhang stehen.
Traditionspflege war ihm Herzenssache
Unvergessen sind die festlichen St. Heinrichstage in Bamberg, der Heimstatt des Ordens, wo sich im Kaiserdom das Grab des Ordenspatrons, des römisch-deutschen Kaisers Heinrich II. des Heiligen (973–1024) befindet. Es waren festliche Stunden, wenn sich Sachsen aus allen Himmelrichtungen erwartungsvoll um das Markgrafenpaar sammelten, dazu das Gepränge von Abordnungen der Verbände, Ehrenposten der Bundeswehr und Vertretern von Geistlichkeit und Politik. Wenn sich dann die Tore des Domes öffneten, die Orgel dröhnte und der Zug in feierlicher Prozession zur Ehrentafel des Ordens schritt, war dies die Stunde des Markgrafen Maria Emanuel, der als berufener Vertreter einer tausendjährigen Tradition das Totengedenken und die Auszeichnungen vornahm.
Unermüdlich zeigte sich der Markgraf bei der Unterstützung der zahlreichen, nach 1945 in Westdeutschland, aber auch Österreich und der Schweiz entstandenen Sachsenvereinigungen. Insbesondere die damaligen Kameradschaften ehemals sächsischer Regimenter, die Traditionspflege der Königlich-Sächsischen Armee, waren ihm Herzenssache. Das 900-jährige Jubiläum des Fürstenhauses in Regensburg im April 1989 feierten die Wettiner noch in der Windstille deutsch-deutscher Teilung. Monate später standen die Zeichen auf Sturm, begann auch für den Markgrafen ein turbulenter Lebensabschnitt mit neuen Herausforderungen, diesmal jedoch nicht allein für sondern inmitten des schönen Sachsenlandes.
Sachsen gingen für die Erneuerung auf die Straße
Und waren es nicht vor allem die Sachsen, welche in Leipzig und Dresden für die Erneuerung ihres Landes auf die Straße gingen, deren Einsatz der Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung zu danken war? Noch am 23. Dezember 1989 traf das Markgrafenpaar in der sächsischen Hauptstadt ein, um zunächst in der Hofkirche – Providentiae memor – für die schicksalhafte Fügung der Ereignisse Dank zu sagen. Nun folgte eine dynamische Zeit voller Aufbruchstimmung, ein letzter Abendglanz jener Epoche – als Sachsen noch ein Königreich war – der diejenigen umfing, die im Strahlungsfeld der „Ersten Familie des Landes“ (Claus Laske) agieren durften ...
Der königliche Inspirator bleibt unvergessen. Bei Imst in Tirol, im Familiengrab zu Brennbichl, schläft er den ewigen Schlaf. Manche Entwicklung in seiner engeren Heimat ist ihm, der immer lebhaften Anteil an den Schicksalen Sachsens genommen, wohl erspart geblieben. Doch vielleicht kommt der Tag, an dem es den Sachsen gefällt, ihren guten Markgrafen heimzubringen nach Dresden, an die Seite seiner Vorväter, den verewigten Kurfürsten und Königen, in die Fürstengruft der Hofkirche, die zum Lob eines Höheren errichtet, auf immer mit dem segensreichen Wirken der Wettiner verbunden bleibt.
DER AUTOR
Bert Wawrzinek wurde 1959 in Leipzig geboren und lebt heute im Stolpener Land. Im ersten Leben Rockmusiker, betreibt er seit drei Jahrzehnten das Historica Antiquariat im Dresdner Barockviertel und ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur sächsischen Geschichte und Kultur.